„Es gibt doch gar keine Corona-Pandemie – Bill Gates will die Welt beherrschen“ – Verschwörungsnarrative und Fake News als gesellschaftliche Phänomene, ihre Kontexte und potentiellen Gefahren

Abbildung 1:"Schluss mit der Lügen-Pandemie", Lizenz: CC Attribution 2.0. Generic. File:Plakat mit Botschaft "Schluß mit der Lügen-Pandemie!" bei Demo gegen Corona-Maßnahmen (50853438832).jpg - Wikimedia Commons

Bericht von Klara Pippart, MEd-Studierende Biologie.

Seit dem Beginn der Corona-Pandemie existieren Verschwörungsnarrative über den Ursprung des Virus und mögliche dahinter liegende Verstrickungen verschiedener Mächte: Sei es die Nicht-Existenz der Erkrankung, die Kontrolle durch jüdische Untergrund-Bewegungen, Bill Gates und seine Absicht, die gesamte Menschheit durch Mikrochips zu kontrollieren oder eine Vereinigung einer elitären Schicht zur Reduktion der Bevölkerung.

Vorab eingestimmt durch das Video Matheleugnerin (Folge 15) I Kroymann - YouTube stellen sich im Workshop Fragen nach verschiedenen Dimensionen von Verschwörungsglauben. Wie kommt es zu solchen „Theorien“? Welche Rolle spielt dabei der Umgang öffentlich-rechtlicher Medien? Welche menschliche Bedürfnisse können Verschwörungsgedanken fördern? Und: Wie kann mit Menschen im näheren Umfeld umgegangen werden, die solchen Thesen anhängen?

Der erste Tag beginnt mit einem Vortrag Anna Kleisers, einer Journalistin des ZDF HeuteJorunals und ZDF ZOOMin, die in die Debatte rund um die Corona-Berichterstattung einführt. Obwohl die Medien zur Versorgung der Gesellschaft mit sorgfältig recherchierten Informationen verpflichtet ist, wird der Auswahlprozess der Themen durch weitere Dimensionen von Nachrichtenwertfaktoren beeinflusst. Dabei spielen beispielsweise auch Nähe, Dynamik und Status der Geschehnisse und Personen eine Rolle. Der durch verschiedene Instanzen laufende Auswahlprozess ist somit laut Kleiser nicht nur rein objektiv, sondern richtet sich nach dem Interesse in der Bevölkerung und dem gesellschaftlich-politischen Stellenwert der Informationen. Inwieweit solche Entscheidungen getroffen werden, exempflifiziert die Journalistin anhand eines von ihr veröffentlichen Beitrags über Querdenker in Konstanz: Zu Besuch bei den Anti-Corona-Demos - YouTube. Der recht persönliche Zugang mit einer Reflektion über die eigenen Gefühle und Gedanken während der Konfrontation mit unterschiedlichsten Verschwörungsanhänger:innen macht nicht nur den Versuch sichtbar, die dortigen Menschen abzubilden, sondern auch die bewussten Entscheidungen der Journalistin bei der Gestaltung der Berichterstattung.

Einen anderen Zugang erhalten die Q+-Studierenden im darauffolgenden Vortrag Prof. Dr. Roland Imhoffs, der als Professor für Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Mainz lehrt. Innerhalb seines Vortrags wird nicht nur eine Minimaldefinition des Begriffs Verschwörungstheorie erarbeitet (…wenn Menschen glauben, dass ein Ereignis durch geheime Absprachen einer Gruppe von Personen zustande gekommen ist, und zwar zu deren Vorteil oder dem Schaden der Allgemeinheit.), sondern auch den epistemischen, existenziellen und sozialen Bedürfnissen der Menschen als Bedingungen von Verschwörungsnarrativen Beachtung geschenkt. Ziele von Verschwörungserzählungen sind demnach klare Antworten zur Reduktion von Unsicherheiten oder Verneinung von Zufällen sowie Schaffen von Kontrolle oder Bestätigung eines positiven Selbstbildes. Diese Bedürfnisse werden statistisch gesehen jedoch kaum erfüllt, weswegen die Funktionalität solcher Verschwörungsgeschichten laut Imhoff zu verneinen ist.

Am zweiten Tag des Workshops versucht Dr. Romy Jaster, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und Geschäftsführerin der Gesellschaft für analytische Philosophie, Möglichkeiten zu bieten, mit Anhänger:innen von Verschwörungsthesen ins Gespräch zu treten. Romy Jaster ist auch Mitbegründerin des Forums für Streitkultur und forscht u.a. darüber, wie eine konstruktive Streitkultur entwickelt werden könnte. Dabei steht die Suche nach Gemeinsamkeiten im Vordergrund, worauf aufbauend Fragestellungen formuliert werden sollten, die Widersprüchlichkeiten in den Vorstellungen aufdecken. Zur Verdeutlichung verwendet Jaster das kontroverse Beispiel „Deutschland als Diktatur“. In der Begegnung mit so denkenden Menschen könne beispielsweise wie folgt reagiert werden: „Ich finde auch, dass die Meinungsfreiheit ein unglaublich wichtiges Gut in einer Demokratie ist. Siehst du Unterschiede in der Meinungsfreiheit zwischen Berlin und Wuhan?“

Wie mit Anhänger:innen von Verschwörungsnarrativen umzugehen ist, führt auch Dr. theol. Eckkard Türk, Beauftragter für Religions- und Weltanschauungsfragen der Bistümer Mainz und Speyer, aus. Im vergangenen Jahr erhielt er 21 Anfragen, überwiegend von Angehörigen von Verschwörungsglaubenden, die einer intensiven therapeutischen Betreuung bedurften. Anhand des Fallbeispiels von Herrn A. und seiner Familie wird deutlich, dass Verschwörungsglaube nicht nur aus dem Angebot verschiedener Gruppen resultiert, sondern auch durch die individuelle Biographie und bestimmte Lebensthemen bedingt ist. Wie sich eine erfolgreiche Beratung mit tiefen Sorgen der Menschen beschäftigt, ist eine Abwertung oder Bloßstellung der Menschen kontraproduktiv und nicht hilfreich. Herr Türk plädiert deswegen nachdrücklich dafür, das Gegenüber und die individuelle Wirklichkeit sehr ernst zu nehmen.

Den Abschluss des zweitägigen Q+Workshops bildet der Vortrag Dr. Gertrud Greif-Higers, Geschäftsführerin des Ethikkomitees an der Universitätsmedizin Mainz. In der Rückwendung zu den theoretischen Hintergründen von Verschwörungsglauben versucht sie die Entstehung dieser Konzepte nachzuvollziehen und in den Kontext moralisch-ethischer Diskussionen einzubetten. Sie zeigt auf, dass das Sicherheitsgefühl vieler Menschen aufgrund zurückgehender gesellschaftlicher und religiöser Strukturen leidet und daraus resultierend bestimmte Vorstellungen an Bedeutung gewinnen. Vor allem Verschwörungsnarrative, welche einfache Antworten auf komplexe Fragen zu geben versuchen, erreichen deswegen einen immensen Zuwachs.

Auch wenn durch den Workshop nur bestimmte Aspekte rund um Verschwörungsgeschichten abgedeckt werden konnten, wurde die Komplexität des Themas durchaus deutlich. Sicher bleibt dennoch: Der Umgang mit Menschen, die durch bestimmte Lebensereignisse oder Bedürfnisse Verschwörungskonzepte aufnehmen, ist äußerst komplex. Eine verspottende Begegnung mit den Menschen ist – trotz der abstrus wirkenden Vorstellungen – abzulehnen, da sie weder gewinnbringend ist, noch den Menschen hinter der Theorie sieht. Es steht auch fest, dass eine Ignoranz gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe nicht gewinnbringend ist, weswegen die Bedeutung eines kommunikativen Dialogs wächst.

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