Soziale Ungleichheit – Armut in Deutschland

Bericht von Sebastian Auer (Bacherlorstudierender Politikwissenschaft)

Am 01. Juli 2022 trafen sich 19 Teilnehmenden aus 17 verschiedenen Disziplinen zum Seminar „Soziale Ungleichheit – Armut in Deutschland“ im neuen Q+ Quartier auf dem Kisselberg. Der Seminartag wurde durch einen spannenden Vortrag von Prof. Dr. Michael Klundt, Professor für Kinderpolitik an der Hochschule Magdeburg-Stendal, eingeleitet. Dieser gewährte zunächst grundsätzliche Einblicke in die Methoden der Sozialforschung und stellte die aktuelle Situation sozialer Ungleichheit in Deutschland vor. Es war erschreckend zu sehen, wie ungleich das Vermögen in Deutschland verteilt ist: So sei, schrieb die Boston-Consulting-Group (BCG) in ihrem Jahresbericht, das Privatvermögen in Deutschland im Jahr 2022 auf mehr als 20 Billionen Dollar gestiegen. Mehr als 3000 Superreiche besäßen ein Fünftel des gesamten Privatvermögens in Deutschland, ihre Zahl steige weiter deutlich an. Zugleich galten im Jahr 2019 über 20% der in Deutschland lebenden Kinder als armutsgefährdet, vermeldete „Statistica 2021“ des Bundesamtes für Statistik, wobei ausländische Kinder besonders von Armut betroffen sind. Prof. Klundt diskutierte mit den Q+Studierenden ausführlich, wie und nach welchen Kriterien Armut definiert wird, was seit Jahren Anlass für langanhaltende Debatten innerhalb der Gesellschaft und bei den unterschiedlichen sozialen Institutionen ist.

Anschließend machten die Teilnehmenden eine längere Mittagspause, was auch notwendig war, da nicht nur das Mittagessen, sondern auch die Informationen aus dem Vortrag von Prof. Klundt den Teilnehmenden im Magen lagen und zunächst verdaut werden mussten. Auch in der Mittagspause diskutierten die Teilnehmenden daher intensiv über das Gehörte.

Im Anschluss referierte Prof. Dr. Gerhard Kruip, Professor für Sozialethik an der Universität Mainz, über Gerechtigkeit und Gleichheit und über ethische Aspekte zur Verteilung und Beteiligung in einer humanen Gesellschaft. Mit ihm diskutierten die Q+ Studierenden ausgiebig darüber, nach welchen grundsätzlichen Prinzipien welche Güter in einer Gesellschaft verteilt werden sollten. Dazu wurden in Kleingruppen juristische, wirtschaftliche und ethische Prinzipien erarbeitet. Prof. Kruip stellte dann die Gerechtigkeitstheorie des an Harvard lehrenden US-Philosophen John Rawls (1921-2002) vor, dessen Hauptwerk „A Theory of Justice” zu den einflussreichsten Werken der politischen Philosophie im 20. Jahrhundert gilt. Auch die Theorien des indischen Wirtschaftswissenschaftlers Amartya Sen (*1933) und die der Rechtswissenschaftlerin Martha Nussbaum (*1947) kamen zur Sprache. Großen Raum nahm die Diskussion darüber ein, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht eine Lösung zur Bekämpfung der Ungleichheit in Deutschland sein könnte. Nach einer Begriffsklärung und begrifflichen Abgrenzung wurden sozialethische Gründe und die „Mathematik“ des bedingungslosen Grundeinkommens und vor allem die Problematik der Finanzierung diskutiert. Prof. Kruip vertrat die Meinung, dass alle derzeit bekannten Modelle nicht refinanziert werden könnten. Die Ergebnisse seiner Darstellungen wurden anschließend in Kleingruppen diskutiert. Das Thema schien die Studierenden sehr umzutreiben, da sich alle intensiv an der Diskussion beteiligten und somit viele diverse Ansichten und Argumente untereinander ausgetauscht wurden. Ein einheitliches, für alle gleichermaßen akzeptables Modell für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland konnte allerdings nicht erarbeitet werden.

Abgerundet wurde der Workshoptag dann durch einen Vortrag des Schuldnerberaters und Rechtsanwaltes Paul Michael Bremer, der den Teilnehmenden spannende Einblicke in seine tägliche Praxis bieten konnte. Die meisten hohen Schulden, so berichtete er, entstünden durch Lebenskrisen, etwa durch Scheidung, durch erkrankungsbedingte Arbeitsunfähigkeit oder durch den Tod des finanzierenden Familienteil. Besonders kritisch sah Herr Bremer sog. Konsumschulden vor allem junger Menschen, beispielsweise durch Angebote wie „buy now, pay later“, bei denen das Produkt heute herausgegeben, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt wird. Aus seiner Sicht führt dieses Kaufanreizkonzept oft zur Überschätzung der eigenen Zahlungsfähigkeit und somit in einem schleichenden Prozess in die Schuldenfalle. Auch die Möglichkeit des sog. Ratenkaufs führe oft dazu, dass sich viele vor allem junge Menschen überschulden, weil sie sich gleichzeitig zu viele Konsumgüter kaufen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten könnten. Aus der Sicht von Herrn Bremer wäre es daher unbedingt notwendig, frühzeitig mehr finanzielle Bildung, beispielweise in den Schulen, zu vermitteln, um Menschen einen besseren Umgang mit Geld zu lehren und sie hinsichtlich der drohenden Gefahr einer Schuldenfalle zu sensibilisieren.

Insgesamt war der Seminartag für alle Beteiligten äußerst gewinnbringend. Der Mix aus Theorie und Praxis bot den Teilnehmenden tiefe Einblicke in das Themengebiet und die intensiven Diskussionen innerhalb der Gruppe und mit den Dozierenden waren horizonterweiternd. Es ist schön, dass Q+ im nächsten Semester eine Folgeveranstaltung anbieten wird, um der Relevanz des Themas gerecht zu werden. Die Teilnehmenden verließen das Q+ Quartier mit vielen spannenden, weiterführenden Gedanken.

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