Ein kommentierter Bericht von Marc Hertel, M.Ed.-Studierender Geographie und Französisch
Onkel Erwin beklagt sich beim Weihnachtsessen über ‚die kriminellen Ausländer‘, Friedrich Merz unterstellt Geflüchteten einen ‚Sozialtourismus‘ und die Nachbarin wartet im Treppenhaus mit einem Verschwörungsmythos, bei dem wir eh alle durch ‚die da oben‘ aus Politik und Wissenschaft kontrolliert werden. Rechtspopulistische Aussagen haben Konjunktur – und QPlus-Studierende suchten gemeinsam mit Luis Caballero und Zillan Daoud als Trainer*innen aus der politischen Bildungsarbeit argumentative Strategien dagegen.
Populistische Akteur*innen beanspruchen die Repräsentation des Willens einer ‚schweigenden‘ Mehrheit, die im öffentlichen Diskurs nicht stattfinde und daher ‚endlich‘ gehört werden müsse. Rechtspopulistische Denk- und Ausdrucksweisen im Spezifischen konstruieren einen homogenen Volkskörper oder eine kulturell einheitliche Nation, wodurch sie im selben Zuge bestimmte Bevölkerungsgruppen (z. B. Menschen mit Migrationsgeschichte, queere Menschen, Aktivist*innen) ausschließen – „Partikularinteressen wird das Existenz- und politisches Durchsetzungsrecht abgesprochen, da es nur ein einheitliches Gesamt-Volksinteresse geben darf. Mit Hilfe des Ausschlusses wird also ein Gesamtwohl konstruiert und konstituiert“ (Caballero 2016).
Im Zuge des zweitägigen Workshops haben wir uns in unterschiedlichen Analyse-Phasen und eigenen Positionierungsübungen diffamierenden und hetzerischen Stammtischparolen entgegengestellt. Durch ihre langjährige Arbeit im Kontext von Integration und politischer Bildung konnten Zillan und Luis besagte Parolen sehr realistisch nachspielen und in den Kurs eintragen. Sie haben so zwischenzeitlich Seminargespräche zu Stammtisch-Geschwätz transformiert, das uns in unserem akademisch und demokratisch informierten Alltag oft weit entfernt scheint.
In den Analyse-Phasen haben wir Charakteristika von Stammtischparolen wie Themen-Hopping, Whataboutism, pseudowissenschaftliche Argumentationen mit nicht transparenten Quellen und die Sündenbock-Funktion festgehalten. Ferner haben wir das Positionierungsviereck aus der Situationsanalyse herangezogen. Die Praxis-Phasen wiederum umfassten Meinungsparameter mit unterschiedlich (z. B. historisch, verfassungsrechtlich, realfaktisch) interpretierbaren Aussagen (z. B. „Der Islam gehört zu Deutschland“), einen Reaktionstest mit schnellen ‚Gegenschüssen‘ auf Parolen (z. B. „Die Flüchtlinge arbeiten nichts und haben trotzdem immer die neusten Handys“) und längere Rollenspiele, in denen unser Coach Luis zum Parolenschwinger wurde und mit zwei Studierenden an seiner Seite zwei ausgewählte QPlus-Demokratieverteidigende mächtig herausforderte. Die erste Diskussion endete mit dem Aufstehen eines Verteidigers, nachdem die Gegenseite grenzüberschreitend auf den Tisch gehauen hatte, in der zweiten Diskussion verloren die beiden Verteidigenden durch eine nicht ausgenutzte wechselseitige Stützung und Solidarität den Diskurs- und Körperraum an die Parolenschwinger.
Alle Teilnehmenden konnten durch die erlebten Stammtisch-Herausforderungen am Ende des Workshops einen beachtlichen Kompetenzzuwachs feststellen, der eigene Reaktionen auf rechtspopulistische Parolen in Zukunft bestärken wird – ob am Stammtisch oder eben auch beim Weihnachtsessen, in der politischen Debatte oder im Treppenhaus. Wie könnten wir also nach unseren Erkenntnissen auf den Onkel, den Kanzlerkandidaten und die Nachbarin antworten?
Onkel Erwin beschäftigt offenbar eine Veränderung in der Gesellschaft oder eine subjektiv empfundene Unsicherheit. Durch ein Nachfragen zu seinen Alltagssorgen und der gemeinsamen Suche nach möglichen Lösungen könnte die Fokussierung von der vermeintlichen Problemfigur der ‚Ausländer‘ weggelenkt werden. Friedrich Merz könnte man kurz und prägnant auf die tragischen Herkunftskontexte von Geflüchteten verweisen, indem man seine Tourismus-Metapher invertiert: „Würden Sie denn gerne mal nach Syrien oder Afghanistan? Was würden Sie denn mit Ihrer Charlotte als Kulturtourist*innen zwischen Bürgerkriegs-Ruinen und aus der Öffentlichkeit verbannten Frauen so unternehmen?“ Und bei der Nachbarin, die mit Verschwörungsmythen keine gemeinsame Basis von Wahrheit erkennen lässt, genügt auch das Setzen einer Duftmarke: „Kompletter Bullshit, was du erzählst. Ich werde nach 10 Jahren Wissenschaft wohl wissen, wie man zu seriöser Erkenntnis kommt.“
Wir haben in zwei Tagen Workshop eben auch gelernt: Leidenschaftliches Aufklären und engagiertes Widersprechen bei rechten und kontrafaktischen Parolen ist wichtig, aber einige Personen haben bereits den point of no return überschritten. Dann heißt es auch, auf unsere eigenen Ressourcen zu achten und dort etwas zu bewegen, wo sich noch etwas bewegen lässt – zum Beispiel bei Onkel Erwin und Friedrich Merz.