Reiche werden reicher?! Über Vermögensverteilung in Deutschland

Bericht von Felix Paul, B.Sc. Informatik

Derzeit gibt es 22,7 Billionen Euro Nettovermögen in Deutschland. Über 65% davon werden nicht erarbeitet, sondern vererbt. Werden Reiche in Deutschland immer reicher? Ja, meinen die von Q+ eingeladenen Expert:innen. Trotzdem ist die Ungleichheit der Vermögensverteilung nicht drastisch angewachsen. Wie das? In einem zweitägigen Ganztagesseminar vom 02.11.-03.11.2023 beschäftigten sich 18 Studierende aus 14 verschiedenen Fachrichtungen intensiv mit der Thematik der Vermögensverteilung in Deutschland. Dabei arbeiteten sie gemeinsam mit den renommierten Expert:innen Stefanie Bremer von ”taxmenow,” Dr. Markus M. Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin und Dr. Judith Niehues vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln.

Zunächst stand die Entwicklung von Reichtum in Deutschland im Fokus, wobei Dr. Marcus Grabka die Definition von Vermögen erläuterte, die Datenlage zur Reichtumsverteilung aufzeigte und den Gini-Koeffizienten als Maß für monetäre Ungleichheit einführte. Seine Argumente, dass die finanzielle Ungleichheit in den letzten Jahren nicht zugenommen habe, wurde diskutiert und auf hauptsächlich auf die positive Entwicklung des Immobilienbesitzes der Mittelschicht und dessen drastischen Wertzuwachs in den letzten Jahrzehnten zurückgeführt. In studentischen Arbeitsgruppen wurde dann die Rolle von Erbschaft und mögliche Lösungen zur gerechteren Vermögensverteilung in Deutschland erörtert, wobei von den Studierenden die Erhöhung der Erbschaftsteuer als bevorzugtes Instrument hervorgehoben wurde. Dr. Grabka entgegnete und belegte, dass die Erhöhung der Erbschaftssteuer kein wirksames Instrument gegen Vermögensungleichheit darstelle, aber zur Erhöhung der staatlichen Einnahmen diene und auch als symbolische Geste in die Gesellschaft hinein Wirkung entfalten könne.
Andere Ideen beinhalteten eine bessere Finanzbildung in der unteren und mittleren Mittelschicht, gefördert z.B. durch ein staatliches Startguthaben für junge Erwachsene, und die Förderung des Erwerbs von Wohneigentums nach dem Überschreiten einer bestimmten Schwelle bei Mietabgaben im Verhältnis zum Immobilienwert.
Ernüchternd waren die Nachweise von Dr. Grabka, wie „einfach“ es ist, große Vermögen ganz legal auf die nächste Generation zu vererben, auch ohne dafür Steuern zu zahlen. Das führe dazu, dass der Großteil des Vermögens Hyperreicher ererbt und nicht erarbeitet würde.

Im zweiten Teil des Workshops beleuchtete Dr. Judith Niehues vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln die Mittelschicht, Wohlhabende und Reiche in Deutschland, indem sie den Begriff der Mittelschicht präzisierte und soziale, ökonomische und subjektive Zugehörigkeit zu den verschiedenen Einkommensschichten untersuchte. In Kleingruppen wurden Pro- und Contra-Argumente erarbeitet, ob und wie mit den Instrumenten Einkommenssteuer, Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer der Vermögensungleichheit in Deutschland entgegengewirkt werden könnte. In einer abschließenden Metadiskussion wurde die Komplexität des Themas betont, u.a. alternative Messgrößen für individuelle Leistungen vorgeschlagen und die Bedeutung von Bildung zur Sensibilisierung für die Förderung der finanziellen Gleichheit hervorgehoben.

Im dritten Teil des Workshops forderte die selbständige Nachhaltigkeitsmanagerin Stefanie Bremer, die in eine hyperreiche Familie mit Familienunternehmen hineingeboren wurde, dass sie mehr Steuern zahlen möchte und daher ehrenamtlich mit weiteren vermögenden Aktivist:innen im Vorfeld der letzten Bundestageswahl 2021 die Initiative „taxmenow - Initiative für Steuergerechtigkeit e.V.“ gründete. Sie wies u.a. darauf hin, dass die progressiven Steuern, die Arbeitnehmer:innen in Deutschland monatlich auf ihr erarbeitetes Einkommen zahlten, teilweise drastisch höher lägen als Vermögenssteuern für Hyperreiche.

Dieses zweitägige Seminar war zweifellos intensiv und inhaltlich anspruchsvoll. Wir haben gemeinsam viele statistische Erkenntnisse gesammelt, die es uns ermöglichen, wissenschaftlich fundierte Diskussionen zur Vermögensverteilung zu führen. Unsere teils hitzigen Diskussionen über mögliche Lösungsansätze zeigen, dass das Thema nicht nur von Bedeutung ist, sondern auch unsere Leidenschaft geweckt hat. Trotz der Arbeitsintensität war die Begeisterung der Teilnehmer spürbar. Es ist deutlich, dass es großen Handlungsbedarf in Bezug auf die Vermögensverteilung gibt. Die Erkenntnisse, die wir hier gesammelt haben, sind der erste Schritt auf einem hoffentlich langen Weg zur Veränderung, an dem jede:r mitwirken müsse. Wir danken allen Teilnehmenden und Expert:innen für ihr Engagement und freuen uns auf die Fortsetzung dieser wichtigen Diskussionen.

Veröffentlicht am