Lebensräume neu denken. Über die Zukunft des nicht-städtischen Raums

Bericht von Nicolas Schreckenbach (Masterstudierender Geschichte) und Niklas Wenzel (Bachelorstudierender Politikwissenschaft)

Lebensräume neu denken. Das war die schwierige Aufgabe, der sich 11 Studierende aus 9 verschiedenen Disziplinen in der Veranstaltung „Lebensräume neu denken. Über die Zukunft des nicht-städtischen Raums“ im Rahmen des Studienprogramm Q+ verschrieben hatten. Und auch über die Zukunft des nicht-städtischen Raums nachzudenken, war keine leichte Aufgabe, zumal sich auf Nachfrage herausstellte, dass nur wenige Studierende überhaupt „vom Land“ kamen.

Aufgeteilt war die Veranstaltung auf drei verschiedene Tage Ende Oktober im  Wintersemester 2022/23. Der erste Veranstaltungstag beschäftigte sich mit wissenschaftlichen Konzepten rund um den sogenannten „nicht-städtischen Raum“. PD Dr. Manuel Trummer, Kulturwissenschaftler an der Universität Regensburg, war zu Gast in Mainz und führte die Studierenden auf eine Reise quer durch die deutsche Geschichte. Er machte dabei deutlich, dass sich nicht nur der „nicht-städtische Raum“ durch demographische Verschiebungen und Migrationsbewegungen, industrielle Entwicklungen oder auch durch die Auswirkungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs über die letzten beiden Jahrhunderte fundamental gewandelt hat, sondern sich auch das, was man mit „Land“ und „Dorf“ inhaltlich verbindet, sich verändert und sich laufend weiter verändert. Dabei wurde vermittelt, wie und von wem der ländliche Raum definiert wird und wie er sich von anderen Räumen abgrenzen lässt. Das gewonnene Verständnis wurde von den Studierenden in einem Planspiel angewendet und damit  Sensibilität für die weitergehenden Problemstellungen, für die Zukunft des nicht-städtischen Raums geschaffen. Dieses kreative Gedankenspiel machte sehr viel Spaß.

Der zweite Veranstaltungstag widmete sich den Besonderheiten des ländlichen Raums in Ostdeutschland und den politischen Möglichkeiten und Perspektiven, die Lebensqualität in der räumlichen Dezentrale nachhaltig zu verbessern. Der Q+-Studierende Niklas Wenzel vertrat spontan die leider kurzfristig erkrankte Referentin der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern. Niklas Wenzel hatte an einer Studie des Landes Mecklenburg-Vorpommern mitgewirkt, die zukünftige Strategien zur Belegung der räumlichen Dezentrale diskutierte. Es gelang ihm sehr gut, die konkrete Situation in dem Bundesland umfassend darzustellen und deutlich zu machen, vor welch schwierigen Aufgaben die dortige Landespolitik gestellt ist. Sowohl die geringe Bevölkerungsdichte als auch die einkommensschwache alternde Bevölkerung sind große Herausforderungen für das Bundesland. Erneut nahmen die Studierenden in einem Rollenspiel die Positionen verschiedener Stakeholder ein. Dabei konnte sehr gut nachempfunden werden, wie kompliziert und schwierig sich der Interessensausgleich gestaltet – gerade, wenn der Druck groß ist und umfassende Reformen sowie Investitionen nötig sind, um nachhaltig die Lebenssituation der dort ansässigen Menschen positiv zu verändern.

Der Nachmittag wurde von Ralf Schweinsberg, Ministerialdirigent für Schieneninvestitionen/Recht im Bundesverkehrsministerium geleitet. Er berichtete von den rechtlichen und bürokratischen Hürden im Schienenausbau, den gesellschaftlichen Forderungen – auch die Nachfolge des erfolgreichen 9€-Tickets wurde diskutiert – und dem politischen Willen zu einer Verkehrswende.

Der letzte Veranstaltungstag führte die Studierenden in den Rheingau-Taunus-Kreis. Mit dem Zug ging es zuerst nach Lorch an den Mittelrhein. Dort angekommen wurden wir im historischen Rittersaal des Hilchenhauses von Bürgermeister Ivo Reßler empfangen, der die Studierenden sehr schonungslos und ernüchternd über die Situation in Lorch informierte und worauf sich ein reges Gespräch entwickelte. Am frühen Nachmittag ging es weiter nach Eltville, wo – nach einer kleinen Stärkung –  Andreas Wennemann vom Naturpark Rhein-Taunus sowie Julia Übelhör von der Kreisverwaltung des Rheingau-Taunus-Kreis über die Entwicklung ihrer Institutionen referierten. Bald darauf stieß der Bürgermeister in Eltville, Patrick Kunkel, hinzu, der, ähnlich wie Herr Reßler für Lorch, über die schwierige Situation der Stadt Eltville und sehr kritisch insbesondere über die behäbigen Entscheidungsketten der deutschen Bürokratie berichtete, woraus sich rege Diskussionen entwickelten und weitergehende Perspektiven für die beiden Kommunen thematisiert wurden. Dabei kamen etwa die Möglichkeit, nachhaltige Energiegewinnung zu einem Standortfaktor zu machen, der sich nicht nur finanziell lohnt, als auch neue Konzepte, die Region für den Tourismus interessanter zu gestalten, zur Sprache. Der offene Austausch untereinander sorgte nicht nur für spannende neue Ideen, sondern führte auch zu dem Wunsch nach weiterer Kooperation zwischen den Bürgermeistern und den von ihnen repräsentierten Städten sowie den Studierenden des Studienprogramm Q+.

Abgerundet wurde die Veranstaltungsreihe von einer ausgiebigen historisch-kulturelle Stadtführung durch die Altstadt von Eltville. Begleitet wurden die Studierenden von dem ein oder anderen Glas Weißwein. Dabei wurden sie nicht nur von der Geschichte des Eltviller Rieslings, sondern auch von dessen Geschmack begeistert.

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