Intersektionale Perspektiven auf Gender und Widerstand

Im Wintersemester 2025/26 findet die fünfte Ringvorlesung mit dem Fokus auf Intersektionalität und Gender statt. Dieses Mal widmet sich die Reihe dem Widerstand und öffnet damit diverse Perspektiven, die wir in Diskussionen vertiefen und neue Impulse für heutige Herausforderungen setzen wollen.

Aktuelle antifeministische Diskurse und Politiken sowie Angriffe auf geschlechtliche Selbstbestimmung erzeugen eine neue Dringlichkeit bezüglich der Frage nach möglichem Widerstand. Die interdisziplinäre Ringvorlesung beleuchtet Formen, Praktiken, Strategien und Geschichten der Gegenwehr, die sich in aktivistischen Bewegungen, in künstlerischen Praktiken oder im Alltag zeigen. Die Ringvorlesung geht der Frage nach, welche widerständigen Praktiken als strategische Werkzeuge dienen, die Gewalt aufzeigen und Machtverhältnisse verschieben können.

Wir laden alle Interessierten herzlich ein und freuen uns auf den Austausch!
Die Ringvorlesung findet online statt. Der Link wird hier rechtzeitig bekannt gegeben.

03.11.2025 | Stefanie Boulila | Sozialwissenschaften | Intersektionale Widerstandspraktiken gegen Anti-Gender-Politiken in Deutschland und Europa

In ganz Europa gewinnen Anti-Gender-Politiken zunehmend an Einfluss und bedrohen hart erkämpfte Fortschritte in den Bereichen Gleichstellung, sexuelle und reproduktive Rechte sowie LSBTIQ*-Rechte. Der Vortrag basiert auf den Ergebnissen des Horizon Europe-Forschungsprojekts RESIST – Fostering Queer Feminist Intersectional Resistances against Transnational Anti-Gender Politics und stellt konkrete Widerstandspraktiken zivilgesellschaftlicher Akteur*innen in Deutschland und weiteren europäischen Ländern vor. Nach einer Einführung in die Strategien und ideologischen Diskurse von Anti-Gender-Politiken in Europa richtet der Vortrag den Blick auf Gegen-Narrative, solidarische Raumpraktiken und widerständige Gegenöffentlichkeiten. Dabei werden sowohl die Potenziale als auch die Spannungsfelder intersektionaler Praxis kritisch reflektiert. Im Fokus steht die Bedeutung von Intersektionalität für die Mobilisierung, insbesondere im Zusammenspiel feministischer, queerer, antirassistischer und migrantischer Perspektiven.

Prof. Dr. Stefanie Boulila ist Forschungsverantwortliche am Institut für Soziokulturelle Entwicklung der Hochschule Luzern und leitet ein Arbeitspaket im Horizon-Europe-Projekt RESIST. Fostering Queer Feminist Intersectional Resistances against Transnational Anti-Gender Politics. 2016 wurde sie an der University of Leeds in Soziologie und Gender Studies promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen queer-feministische Demokratietheorie, LGBTIQ+-Lebensrealitäten, partizipative und kollaborative Forschungsmethoden sowie europäische Rassismustheorien. Sie ist Autorin der Monographie Race in Post-racial Europe: An Intersectional Analysis (2019, Rowman & Littlefield International). Ihre wissenschaftlichen Arbeiten erscheinen in renommierten internationalen Fachzeitschriften, darunter Ethnic and Racial Studies, European Journal of Women’s Studies und Journal of Rural Studies. Für ihren Beitrag zur intersektionalen Ungleichheitsforschung in Europa wurde sie 2021 mit dem Emma-Goldman-Award der niederländischen Flax Foundation ausgezeichnet, der mit 50'000 Euro dotiert ist. Stefanie Boulila war von 2020 bis 2025 Gründungsmitglied der Jungen Akademie Schweiz. Sie engagiert sich besonders für mehr Diversität an Hochschulen sowie für eine verständliche und für Forschende sichere Wissenschaftskommunikation in den Gender Studies.

10.11.2025 | Marlene Winkler | Amerikanistik | Im Zeichen des Widerstands: Mutterschaft aus der Perspektive des US-amerikanischen Schwarzen Feminismus

Bei einer intersektionalen Betrachtung von Feminismus kann innerhalb des Schwarzen Feminismus ein inhaltlicher Fokus auf Konzepte der Mutterschaft gelegt werden. Basierend auf, unter anderem, den theoretischen Werken von Patricia Hill Collins und Stanlie M. James kann im Themenkomplex Mutterschaft zwischen dem Konzept der „bloodmother“ und dem der „othermother“ unterschieden werden. In dem Zusammenhang legt der Vortrag einen verstärkten Fokus auf die Möglichkeit der Kraftschöpfung und der Rückerlangung von Autonomie, insbesondere körperbezogene Autonomie. Es wird analysiert, wie unterschiedlichen Mutterrollen Determination stärken und folglich als Mittel der Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung zu sehen sind. Dadurch ist, aus einer USamerikanischen schwarz-feministischen Sicht, Mutterschaft als inhärent oppositionell zu den Systemen der Sklaverei und Rassentrennung zu betrachten. Exemplarisch wird diese Theorie literaturwissenschaftlich anhand der Werke A Mercy, von Toni Morrison, und The Color Purple, von Alice Walker, unterstrichen. In einem weiteren Schritt kann so auch das Schreiben von verschiedenen Mutterrollen im Kontext von struktureller Unterdrückung als Akt des Widerstandes gewertet werden. 

Marlene Winkler ist Master Studentin der American Studies und Q+Studentin in Mainz. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf intersektionalen Genderstudies mit einem spezifischen Fokus auf körperlicher Autonomie. Zusätzlich arbeitet sie als Hilfskraft an Forschungsprojekten der narrativen Medizin. 

17.11.2025 | Kyra Schmied | Politikwissenschaft | Politisierung von Femi(ni)ziden: Solidarische Kämpfe gegen patriarchale Gewalt 

Mit dem Ziel, keinen Femi(ni)zid unbeantwortet zu lassen, ging die autonome feministische Vernetzung Claim the Space (Wien) über 2 Jahre nach jedem Femi(ni)zid, der in Österreich verübt wurde und von dem die Aktivist*innen erfahren haben, auf die Straße. Femi(ni)zid als politischer Begriff dient dabei der Benennung und Bekämpfung eines breiten Kontinuums patriarchaler Gewalt gegen Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen (FLINTA). Ausgehend von einer Analyse der strukturellen und intersektionalen Gewaltverhältnisse, die den Morden zugrunde liegen, und unter Bezugnahme transnationaler Protestformen und ihrer Übersetzung in den deutschsprachigen Kontext untersucht der Vortrag Ambivalenzen in der Politisierung femi(ni)zidaler Gewalt. Anschließend an Debatten, die auch innerhalb der Proteste geführt wurden, werden Möglichkeiten eines kollektiven, solidarischen Kampfes gegen patriarchale Gewalt – nicht trotz, sondern aufbauend auf unterschiedlichen Erfahrungen – ausgelotet.

Kyra Schmied hat an der Universität Wien Politikwissenschaft und Gender Studies studiert und ihren Master zu einer feministischen Relektüre der Pariser Commune (1871) absolviert. Im Autor*innenkollektiv Biwi Kefempom („Bis wir keinen einzigen Femi(ni)zid mehr politisieren müssen“) verfasste Kyra Schmied gemeinsam mit Judith Goetz, Cari Maier und Marcela Torres Heredia das Buch „Femi(ni)zide. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen“ (2023, Verbrecher Verlag). Aktuell setzt sie sich mit queer_feministischen Vorstellungen von Sicherheit auseinander.

01.12.2025 | Susanne Huber | Kunstwissenschaft | Erregung, Öffentlichkeit, Ärgernis: Koordinaten künstlerischen Ungehorsams prä- und postdigital

Die Grenze zwischen legitimen Körpern und Begehren und ihren vermeintlich unrechtmäßigen Pendants ist historisch ebenso fließend wie regelmäßig umkämpft. Ein spezifisches Erregungspotenzial, d.h. jene Konstellation, anhand derer sowohl Lust als auch Missbilligung mobilisiert wird, formiert sich hingegen kontinuierlich neu. Vor dem Hintergrund neoliberaler Biopolitiken untersucht der Vortrag die Funktion des öffentlichen Raums als Aushandlungsfeld solcher Konflikte zwischen künstlerischer und politischer Teilhabe seit der Mitte des 20. Jahrhunderts auf dem Terrain des Urbanen.

Dr. phil. Susanne Huber arbeitet als Researcher für Kunstwissenschaft/Kunstgeschichte mit Schwerpunkt auf feministischen, queer(end)en und postkolonialen Themen an der Universität Bremen. Aktuelle Forschungsperspektiven umfassen kunstwissenschaftliche und kulturhistorische Phänomene fetischistischer Besetzungen, Körperdiskurse in visuellen Kontexten seit der Moderne sowie fotografische Stillleben um die Jahrhundertwende. Zusammen mit Änne Söll und Hongwei Bao ist sie Herausgeberin der Schriftenreihe „Oyster. Feminist and Queer Approaches to Arts, Cultures, and Genders“ (De Gruyter, Berlin/Boston). Jüngste Publikationen umfassen Ambivalent Work*s. Queer Perspectives and Art History (2024, hg. zus. m. Daniel Berndt und Christian Liclair) sowie zahlreiche Texte und Aufsätze, u.a. in Texte zur Kunst, 21: Inquiries into Art, History, and the Visual, kritische berichte, Zeitschrift für Medienwissenschaft und verschiedenen Sammelbänden.

08.12.2025 | Barbara Paul & Andrea Seier | Kunstgeschichte, Medienwissenschaft | Betroffenheit verteidigen? Praktiken der (Selbst-)Politisierung in Kunst und audiovisueller Kultur

Betroffenheit wird aktuell kontrovers diskutiert und nicht selten in Registern des Politischen ausgelotet, reklamiert, abgesprochen. In diesem Kontext fragt das von uns herausgegebene Buch zu Betroffenheit, das hier vorgestellt werden soll, nach den Möglichkeiten eines produktiven Umgangs mit Betroffenheit. Die Vorstellung einer unmittelbar gegebenen Betroffenheit wird dabei zurückgewiesen und stattdessen aus der Perspektive eines Betroffen-Werdens argumentiert. Betroffenheit wird als spezifische Form eines ebenso verkörperten, gefühlten und diskursiven Wissens verstanden, das individuelle Erfahrungen immer schon an ihre soziokulturellen, medialen und ästhetischen Gefüge koppelt, und als Praktik der (Selbst-)Politisierung auf ihre mediale Performativität, audiovisuelle Repräsentation und ihre diskursiven Umwertungen hin untersucht. Dabei geht es – im Feld von Geschlecht, Sexualität, Begehren, race und Klasse sowie zusammen mit Fragen von Verletzbarkeit, Scham, Emanzipation und Empowerment – um die Verteidigung von Betroffenheit. Beispiele gibt es viele: vom feministischen Künstlerinnenbuch und Queer Punk-Produktionen über Aufmerksamkeitsökonomien in Me-Too-Debatten hin zu Arbeiten von Paul B. Preciado.

Andrea Seier ist Professorin für „Kulturgeschichte audiovisueller Medien“. Als Gast- und Vertretungsprofessorin war sie an der Freien Universität Berlin, Universität Konstanz, an der Ruhr-Universität Bochum und an der Universität Wien tätig. Ihre Habilitationsschrift ist unter dem Titel «Mikropolitik der Medien» (2019) erschienen. Forschungsschwerpunkte: Medien und Selbsttechnologien, Klassenverhältnisse und soziale Im/Mobilität in Medien, Theorien der Schwäche: Betroffenheit, Anhänglichkeit, Passivität, Gender & Medien, Performativitätstheorien

15.12.2025 | Cecilia Valenti | Filmwissenschaft | Für ein Drittes Fernsehen. Ateyyat Al Abnoudy im ZDF der 80er

Ende der 1970er-Jahre begann “Das kleine Fernsehspiel” (DkF) — eine Redaktionsabteilung innerhalb des öffentlich-rechtlichen TV-Senders ZDF, die sich auf die Förderung von Debüt- und Experimentalfilmen spezialisiert hat —, es als Teil seiner Mission zu sehen, Filme aus der sogenannten Dritten Welt zu co-produzieren und auszustrahlen. Vor dem Hintergrund des politischen Horizonts eines "Dritten Fernsehens" (Chanan) reichte 1986 die ägyptische Dokumentarfilmerin Ateyyat El Abnoudy beim “Kleinen Fernsehspiel” einen Vorschlag für einen einstündigen Dokumentarfilm mit dem Titel Abnoud and a Life Cycle ein. Dies markierte den Beginn von Verhandlungen, die schließlich zur Unterstützung durch ZDF sowie den britischen Sender Channel Four führten. Mein Vortrag basiert auf Nachforschungen im Produktionsarchiv des ZDF sowie auf Ansätzen der Critical Infrastructure Studies und untersucht Ateyyat El Abnoudys Zusammenarbeit mit dem “Kleinen Fernsehspiel” als Fallstudie einer Nord-Süd-Koproduktion im Kontext entwicklungspolitischer und staatlich-kritischer Medien. Dabei interessiert mich insbesondere, wie das machtvolle Narrativ eines "timeless peasant life" (Mitchell) — verstanden als subalterner Widerstand gegen den Wandel und in Archivalien zu El Abnoudys Film dokumentiert — durch die Ästhetik von El Abnoudys Film sowohl verhandelt als auch hinterfragt wird.

Cecilia Valenti ist Film- und Kulturwissenschaftlerin und hat die Juniorprofessur für Film- und Medienwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz inne. Ihre Dissertation Das Amorphe im Medialen: Zur politischen Fernsehästhetik im italienischen Sendeformat Blob ist 2019 im Transcript Verlag erschienen. Gemeinsam mit Nikolaus Perneczky vollendet sie zurzeit den Sammelband Restitution and the Moving Image: On the Politics and Ethics of Global Audiovisual Archiving (Amsterdam University Press, 2025). Außerdem arbeitet sie an ihrer zweiten Monografie, einer globalkritischen Mediengeschichte von Nord-Süd-Kooperationen.

12.01.2026 | Josephine Apraku | Afrikawissenschaft | Wie Widerstand? Eine intersektionale Perspektive auf Widerstand im Alltag

Josephine Apraku beleuchtet im Vortrag, wie gesellschaftliche Machtverhältnisse Diskriminierung und Othering-Prozesse hervorbringen – und wie Menschen diesen mit alltäglichen Formen von Widerstand begegnen. Aus intersektionaler Perspektive zeigt Josephine, wie komplex die Überschneidungen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und weiteren Diskriminierungsformen sind, und wie wichtig es ist, die eigenen Ressourcen im Kontext von Widerstand zu reflektieren. Widerstand kann leise oder laut sein, individuell oder kollektiv, geplant sowie spontan sein – er ist immer kontextabhängig. Josephine Apraku fragt, welche Rolle Fach- und Erfahrungswissen, Positionierungen und Gemeinschaft für widerständiges Handeln spielen – und was es braucht, um diesen Weg langfristig gehen zu können. 

Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftler*in, Autor*in, Podcaster*in und Referent*in für intersektionale rassismuskritische Bildungsarbeit. Neben mehreren Sach- und Kinderbüchern hat Josephine unter anderem für Magazine wie das Missy Magazine oder Vogue Germany geschrieben. Außerdem organisiert Josephine die monatliche Soli-Lesereihe »In guter Gesellschaft«, mit der Geld für Initiativen gesammelt wird. Josephines Arbeit bewegt sich zwischen Kritik und Utopie – mit dem Ziel, Unterdrückung sichtbar zu machen und kollektive Veränderung anzustoßen.

19.01.2026 | Sabine Hark | Soziologie, Gender Studies | Genderwahn und Sprachpolizei. Toxische Diskurse und unheimliche Allianzen

Der Vortrag rückt die vehemente Ablehnung von Gender Studies und geschlechtlicher Selbstbestimmung als Teil eines reit angelegten Kulturkampfs in den Blick. Begriffe wie „Genderwahn“ und „Sprachpolizei“ dienen der Diffamierung wissenschaftlicher Arbeit und der Delegitimierung politischer Gleichheitsforderungen. In der Melange aus Verschwörungsmythen, Ressentiments und moralischer Empörung formiert sich eine unheimliche Allianz rechter, konservativer und teils auch feministischer Stimmen. Der Diskurs ist von Eskalation, Denunziation und irrationaler Aufladung geprägt – mit dem Ziel, Gender als vermeintliche Bedrohung gesellschaftlicher Ordnung zu inszenieren und progressive Errungenschaften rückgängig zu machen.

Sabine_ Hark, Professur für Interdisziplinäre Geschlechterforschung an der TU Berlin.Jüngste Veröffentlichungen: Die ungleiche Universität. Diversität, Exzellenz und Anti-Diskriminierung (zusammen mit Johanna Hofbauer) Wien 2023 (Passagen Verlag). Gemeinschaft der Ungewählten. Umrisse eines politischen Ethos der Kohabitation. Berlin 2021 (edition suhrkamp 2774)

Organisiert von Kerstin Brandes, Universität Bremen | Linda Hentschel, Kunsthochschule Mainz | Thari Jungen, Kunstuniversität Linz |  Friederike Nastold, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg | Julia Reichenpfader, Studienprogramm Q+, JGU Mainz.

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