Bericht von Nike Kutzner, B.A.-Studierende Filmwissenschaft
Unter diesem Titel fand das Q+ Seminar und die Exkursion nach Berlin Anfang April statt. Ziel der Veranstaltung war es, genauere Einblicke in die Erinnerungskulturen von Deutschland und Japan, aber auch von Südkorea zu erhalten, und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten.
Hintergrund sind die Kriegsverbrechen, die während des Zweiten Weltkriegs in diesen Ländern begangen wurden. In Deutschland wird die Verfolgung und Ermordung von sechs Millionen Jüd:innen unter dem Namen „Shoah“ oder „Holocaust“ zusammengefasst, und ist ein fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts in der Schule. Eher am Rande erwähnt, aber auch thematisiert, wird die erfolgte Ermordung von weiteren Menschen, die nicht ins „lebenswerte“ Bild der Nationalsozialist:innen passten: Homosexuelle, Sinti und Roma und körperlich und geistig Behinderte.
In Japan wird das Schicksal der, sehr euphemistisch benannten, „Trostfrauen“ oder comfort women, sehr undifferenziert behandelt. Bei diesen Frauen handelte es sich um Südkoreanerinnen, Frauen aus anderen asiatischen Staaten wie den Philippinen oder Taiwan, aber auch um Frauen aus Japan. Diese wurden, meist unter Zwang oder falschen Versprechungen, in Kriegsbordelle des japanischen Militärs gebracht und dort zwangsprostituiert. Wie viele Frauen insgesamt betroffen waren, lässt sich nicht mehr feststellen, da viele Aufzeichnungen vernichtet wurden und die meisten Betroffene aus Scham oder Angst vor Stigmatisierung schwiegen. Von bis zu 200.000 Frauen ist die Rede, doch stehen kaum belastbare Quellen zur Verfügung. In den 1990er Jahren brachen die ersten Frauen ihr Schweigen, was zu länderübergreifenden Debatten bezüglich des Ausmaßes, der Umstände und bezüglich der Sühne bzw. Entschädigung des Kriegsverbrechens führte.
Unser Seminar begann am 8. April mit einem Ganztagesworkshop, bei dem uns Prof. Atsuko Kawakita, die an der renommierten Universität in Tokio (Todai) im Bereich Deutschland- und Europastudien lehrt, mit einem Vortrag über die Erinnerungskulturen in Deutschland und Japan im Vergleich in das Thema einführte. Am Nachmittag wurde der Vergleich der deutschen und der japanischen Gedenkkultur von Dr. Torsten Weber fortgesetzt, der am Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio lehrt, für eine Woche als Q+Fellow International bei Q+ zu Gast war und uns beim Seminar und der dreitägigen Exkursion wissenschaftlich begleitete.
Am 10. April fuhren wir nach Berlin. Dort angekommen war unsere erste Station das Jüdische Museum. Neben einem Fokus auf das jüdische Leben während des sog „Dritten Reiches“ ermöglicht das Museum auch einen allumfassenden Blick auf die Geschichte des Judentums in Deutschland. Die Gestaltung des Museumsgebäudes selbst ist bemerkenswert, da der Stararchitekt Daniel Libeskind einige Räume und Gänge so abweichend von üblichen Symmetrien gestaltete, dass die Besucher:innen schwindelig, beim Gehen und Wahrnehmen verunsichert wurden und „den Halt verloren“. Das vermittelte auf eine drastische und sehr berührende Weise die Situation der Jüd:innen in Deutschland, deren Existenz aus den Fugen geriet, die jede Orientierung, Sicherheit und 6 Millionen Menschen auch ihr Leben verloren und die auf einer steten Suche nach einer Heimat sind.
Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg nach Berlin-Moabit, um die sogenannte „Friedensstatue“ zu besichtigen. Diese Statue, die eine sitzende, junge Frau mit einem leeren Stuhl neben sich zeigt, ist ein Mahnmal für die „Trostfrauen“ des Zweiten Weltkriegs, aber auch für sexualisierte Gewalt weltweit. Die Vorsitzende des Vereins Korea Verband e. V., Nataly Jung-Hwa Han, berichtete uns von der Geschichte der Statue und gab uns im Anschluss eine Einführung im Museum der „Trostfrauen“ (MuT). Die Statue steht seit 2020 in Berlin und hat für viel Furore gesorgt, da die japanische Regierung gegen ihre Aufstellung protestierte. Nach vielen Diskussionen und auch Demonstrationen zugunsten der Statue, ist ihr Verbleib in Moabit derzeit gesichert, wobei in Zukunft weitere Verhandlungen ausstehen werden.
Im Museum der Trostfrauen war die Geschichte der Statue und auch ihres Hintergrundes detailliert wiedergegeben. Neben Infotafeln mit historischen Daten fanden sich auch verschiedene Anschauungsmaterialien wie Comicstreifen, schriftlich wiedergegebene Einzelschicksale oder Schlagzeilen aus Zeitungen zur Diskussion um die Statue. Das Museum, das nicht besonders groß ist, ist sehr schön gestaltet und schafft mit hellen Farben eine Atmosphäre, die es fördert, über die berührenden Schicksale der „Trostfrauen“ zu reden.
Nach einer Mittagspause empfing uns die japanische Botschaft in einem herrschaftlichen, ehr gut gesicherten Gebäude, das wir erst nach umfänglichen Sicherheitskontrollen betreten konnten. Dort führten wir mit dem 1. Botschaftssekretär, Herrn Ogasawara, ein rund zweistündiges Gespräch über die japanische Perspektive auf deren Erinnerungskultur und auf den offiziellen Umgang Japans mit den „Trostfrauen“. Herr Ogasawara betonte, dass es bislang noch keine Anfrage zu diesem Thema an die japanische Botschaft gegeben habe und er sich zum ersten Mal Fragen dazu stelle. Entsprechend sorgfältig wurde jede seiner Antworten gewählt.
Direkt in Anschluss daran liefen wir zu einem Gespräch zur südkoreanischen Botschaft, die wir ohne Sicherheitskontrolle betraten und wo uns der 1. Botschaftssekretär Herrn Muhee Tak und die Dolmetscherin Frau Jisun Hwang empfingen. Auch bei diesem Gespräch wurde schnell klar, wie sensibel dieses Thema „Trostfrauen“ und wie hoch das gegenseitige Misstrauen zwischen Südkorea und Japan heute immer noch ist, obwohl durch die geopolitische Situation und die durch China und Nordkorea empfundene Bedrohung eine offizielle Zusammenarbeit zwischen Japan und Südkorea existiert.
An unserem letzten Tag war ein dreistündiger Stadtspaziergang zur deutschen Erinnerungskultur geplant, bei dem uns Herr Adam Kerpel-Fronius, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ zu den verschiedenen Denkmälern in Berlin führte, die für die Opfer von NS-Verbrechen – zumeist aufgrund bürgerlichen Engagements initiiert – wurden. Sie alle befinden sich in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor, weshalb wir sie gut zu Fuß erreichen konnten. Unsere erste Station war das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma, das vom israelischen Künstler Dani Karavan gestaltet wurde. Es zeigt ein schwarzes Wasserbecken voller „dunkler Tränen“, das von flachen Steinen umgeben ist, auf denen Orte mit Konzentrationslagern zu lesen sind, in denen Sinti und Roma ermordet wurden. Vor dem Denkmal selbst befindet sich eine Chronologie der Nazimorde und weiter entfernt verschiedene Infotafeln, die von einzelnen Schicksalen der Sinti und Roma erzählen. Hunderttausende Opfer sind zu beklagen.
Die nächste Station war das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, welches eher unscheinbar im Berliner Tiergarten steht. Durch ein verglastes, viereckiges Guckloch in einem Betonquader kann man eine Videosequenz sehen, die gleichgeschlechtliche, sich küssende Paare zeigt, und in Dauerschleife läuft.
Anschließend besuchten wir den Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde, die – dem Namen „T4-Aktion“ entsprechend – an der Tiergartenstraße 4 zu finden ist. Eine Stahlskulptur erinnert hier an die systematische Ermordung von ca. 500 000 körperlich oder geistig Beeinträchtigten, die während der NS-Zeit als „lebensunwert“ bezeichnet und systematisch ermordet wurden. Es sind mehrere Infotafeln zu finden, die beispielhaft Namen von Opfern und Tätern wiedergeben, um das Ausmaß begreifbar zu machen.
Unsere letzte Station war schließlich das bekannte Holocaust-Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das aus fast 3000 Betonquadern besteht, die sich in der Nähe des Brandenburger Tors befinden. Es wurde Anfang der 2000er Jahre errichtet und von Peter Eisenman entworfen.
So viele Tote! Millionen Menschen wurden von den Nationalsozialisten im Namen Deutschlands ermordet und das in nur 12 Jahren. Der Rundgang machte uns fassungslos und traurig. Nach diesen vier sehr informativen Tagen waren wir uns in einem letzten Feedback in der gemeinsamen Runde allesamt einig, dass diese Exkursion eine sehr wertvolle Erfahrung war. Auch wenn sich Deutschland seiner Verantwortung für die millionenfachen Morde offiziell stellt, ist es für jede:n Einzelne:n von uns Auftrag, hinzuwirken, dass dies nie wieder geschehen darf.
Trotz des schweren Themas war dieser Q+Workshop für alle eine Bereicherung und wir freuen uns auf weitere Exkursionen im Rahmen des Q+.
Nike Kutzner, BA Filmwissenschaft
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