Rassistische Sicherheitsbehörden?! Konkurrierende Perspektiven auf rechten Terror in Deutschland

Trauer, Wut, Entsetzen: Schon bevor Armin Kurtović (Vater des in Hanau ermordeten Hamza), Ayse Güleç (Aktivistin und Documenta-Kuratorin), Tanjev Schultz (NSU-Berichterstatter für die SZ und Professor für Jounalismus an der JGU) und Martin Rettenberger (Kriminologe im Bundesprojekt „RADAR rechts“) Erleben und Ergebnisse mit uns teilen, versetzt uns die eigene Recherche in Fassungslosigkeit. Der Staat trägt Mitschuld an den rassistischen Terroranschlägen der letzten Jahre in Deutschland. Schwer fällt es nach dem zweitägigen Seminar zu glauben, dass sich die Mitschuld nur auf maßloses Versagen und unendliche Inkompetenz der Sicherheitsbehörden beschränkt.

Prof. Dr. Tanjev Schultz hatte für die Süddeutsche Zeitung die Mordserie von Beate Z., Uwe M. und Uwe B. journalistisch aufgearbeitet und die Prozesse gegen Z. und andere begleitet. Er plädiert für Inkompetenz der Behörden, obwohl er seine Ausführungen mit den langen Pfaden und Genealogien des Nationalsozialismus in den nachkriegsdeutschen Behörden beginnt: Sicherheitsbehörden und Justiz waren von alten Nazis und faschistischen Einstellungen durchdrungen, gaben wohl Geld und Waffen an rechte Zellen, um das Land vor dem Kommunismus zu schützen. Dann rekonstruiert Schultz die Mordserie von Z., M. und B. minutiös, spricht vom „Versagen“ der Sicherheitsbehörden, von „vielen Fehlern“, trotz der personellen Verschränkungen zwischen Polizei und Szene durch unzählige V-Männer, trotz des Untertauchens der Haupttäter kurz vor den Razzien – oder sogar kurz danach. Ob’s Pannen waren, ob’s einen Maulwurf in der Polizei gab, oder die sächsische Polizei selbst mit eineinhalb Beinen im rechten Sumpf west, lässt sich heute schwer sagen: Die Akten wurden ja geschreddert. Doch auch Schultz sieht Hinweise darauf, dass der NSU nicht nur zu dritt war: Das nicht-öffentliche Bekennervideo, das Schultz vorspielt, zeigt vier Köpfe. Erst mit der Selbstenttarnung durch das Video kam die deutsche Polizei auf die Idee, dass die neun Morde mit der Ceska-83 wie die Bombenanschläge auf migrantisierte Personen von Rechtsextremen verübt worden sind.

2006: Ayse Güleç läuft nur ein paar Meter zu Halit Yozgats Internetcafé. Es ist später Nachmittag, eine Menschentraube trauert schon und weint, diskutiert, weiß: Die Mörder, das sind Nazis, es sind dieselben wie in Dortmund, nur zwei Tage vorher, dieselben wie in Nürnberg, München, Köln. „Ich kenne doch meine Feinde“. Die Familien der Ermordeten besuchen sich noch im selben Monat, organisieren die Demo „Kein 10. Opfer“ in Kassel. Ayse Güleç erklärt den Abgrund zwischen den Ermittlungssackgassen und dem Wissen der potentiellen wie tatsächlichen Opfer und Angehörigen mit struktureller Empathielosigkeit und gesellschaftlichem Rassismus. Den Tätern wird zugehört, die Opfer werden verdächtigt und verhöhnt, („Die Gewalt nach der Gewalt“): Noch an den Tatorten ermittelte die Polizei mit schlimmsten rassistischen Fragen und Anschuldigungen bei Überlebenden und Angehörigen. Die bei der Tat anwesenden Nazis verschwinden, auch aus den Protokollen. Erst eigene Ermittlungen, etwa durch den Auftrag an „Forensic Architecture“, beweisen, was vorher klar war: Mit Andreas T. war ein V-Mann während des Mordes an Halit Yozgat anwesend. Doch im Untersuchungsausschuss lehnt die CDU die Beweise mit fadenscheinigen Begründungen ab. (Andreas T. wird in eine andere Behörde versetzt, dann ermordet einer seiner Angestellten den CDU-Mann Walter Lübcke). Für die Angehörigen stellt sich vor allem die Frage, warum es ausgerechnet ihre Liebsten getroffen hat. In wirtschaftlichen Krisen waren Gastarbeiter*innen zuerst entlassen worden, danach hatten viele kleine Läden eröffnet. Unsere Recherchen ergaben, dass oft mit Z., M. und B. befreundete Nazis aus bestimmten Gruppen nahe den Tatorten gelebt haben. Polizeiliche Recherchen verlieren sich an dieser Stelle.

Vom NSU zu Hanau, 19. Februar: Prof. Dr. Martin Rettenberger ist Kriminologe und erstellt psychologische Profile zu Verbrechern, etwa im Projekt „RADAR“ zu rechten Gefährdern (13.000 der 30.000 bekannten Rechtsextremisten gelten als gewaltbereit). Lange galten nur Islamisten als Gefahr, was für nicht-migrantisierte Menschen, die an den Entscheidungshebeln im Land sitzen, wohl auch stimmt. Dass Tobias R. in Hanau seinen Massenmord verüben konnte, verwundert nach Rettenbergers prototypischer Analyse: R. und sein Vater galten als stadtbekannte Nazis, R. war mehr als 15-mal polizeibekannt, mehrfach in der Psychiatrie. Er wähnte sich in der Öffentlichkeit in rassistischen und gewaltsamen Fantasien, bedrohte Jugendliche auf einem Parkplatz mit einer Maschinenpistole, nahm an paramilitärischen Übungen teil. Als Mitglied eines Schützenvereins wurden ihm jedoch nicht mal die Waffen entzogen.

Auch der Sohn von Armin Kurtović, Hamza, wurde am 19. Februar von R. erschossen. Der Täter ist tot, der Rassismus lebt weiter. Armin Kurtović beschrieb die schrecklichen Stunden nach dem Anschlag in der Arenabar. Die Familie bekam keine Informationen, fuhr von Krankenhaus zu Krankenhaus auf der Suche nach dem Sohn. Erst in den frühen Morgenstunden als alle Angehörigen der in der Arenabar Anwesenden in einer Turnhalle warteten, kam die Gewissheit. Nicht sonderlich einfühlsam las ein Polizist die Namen derjenigen stumpf von einer Liste vor, die es nicht geschafft haben. Frau Kurtović, brach zusammen. Weitere Informationen kamen dann aus der Bild-Zeitung.

In den weiteren Ausführungen von Kurtović verschwimmen rassistische Vorurteile mit Diskriminierung und Schikane. Videoaufnahmen aus der Tatnacht zeigen Polizist*innen, wie sie zwischen den Leichen lachen, über sie drüber laufen, Lebenden die erste Hilfe verweigern. Als die Polizist*innen glauben, der Täter komme zurück, nehmen sie eine Leiche als Schutzschild. Dass die Notausgänge der Arenabar verschlossen waren – wohl auf polizeiliche Anordnung zwei Jahre zuvor, fehlt im Ermittlungsbericht genauso wie der kaputte Notruf. Für Flüchtende war der Notausgang eine Sackgasse, ihr Grab. Vili Viorel Păun rief den Notruf an, er war besetzt, so verfolgte er den Täter eigenmächtig und wurde dabei erschossen. Es war seit Jahren bekannt, dass der Notruf in Hanau unterbesetzt und vollkommen überlastet ist. Im Parlament vertuscht die CDU diese Tatsachen, verweigert sogar die Debatte darüber. Als Einzelfälle hingegen bezeichnet die CDU, dass 13 der 19 SEK-Polizisten am Tatort sowie weitere 49 Polizist*innen Teil einer rechtsextremen Chatgruppe waren. Dort wurde nicht nur über ertrunkene Flüchtlinge und vergaste Juden gelacht, auch über die Opfer von Hanau. Über Armin Kurtović schrieb ein Polizist: „Ist das nicht der Vater von dem Zigeuner mit den dicken Eiern?“. Im Obduktionsbericht wird der blonde, blauäugige Hamza als „orientalisch-südländisch“ aussehend beschrieben. Auch der Stadt Hanau muss Rassismus vorgeworfen werden: Zur weiteren Befragung schickte sie etwa Ausländerbeirat, Dolmetscher und Migrationsbeauftragte zu den Kurtovićs – obwohl die Familienmitglieder in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.

Armin Kurtović spricht von „hessischen Verhältnissen“. Der Korpsgeist der Polizei gehe dem Rechtsempfinden voraus, letzteres schade der Karriere. Heuchlerisch erscheint es da nicht nur für Kurtović, dass sich die Regierungspartei CDU die Partei der inneren Sicherheit nennt. Beleidigend wenn Innenminister Beuth zu „exzellenter Polizeiarbeit“ gratuliert oder Ministerpräsident Volker Bouffier, Innenminister übrigens während der NSU-Mordserie, laut Kurtović auch rechtsextremen Polizist*innen bescheinigte, einen guten Job machen zu können.

Kurtović beschreibt seine Erfahrungen mit der Polizei. Im Monat vor seiner Ermordung wurde sein Sohn 13x kontrolliert. Kurtović fragt ihn die Runde wie oft die Q+ Studierenden in ihrem Leben von der Polizei kontrolliert wurden. Seit er sich gegen das Behördenversagen engagiert, sei Kurtovićs Familie Opfer von polizeilicher Schikane geworden. „Jetzt haben wir Phase drei, wo sie auf uns losgehen“. Der Bruder von Hamza bekam etwa eine Anzeige wegen einer Schlägerei, obwohl der Geschädigte selbst genauso wie eine Zeugin aussagen, es sei definitiv ein anderer gewesen. Ein zum ersten Mal vergessenes Busticket wurde mit 10 Tagessätzen und Strafbefehl verurteilt. Der Staatsanwalt lapidar: „Er soll mal sehen, wie es ist, Opfer von einem Gewaltverbrechen zu sein.“ Der Roller des Bruders wurde untersucht, ob er gestohlen sei (was er selbstverständlich nicht ist), mit Fingerabdruckanalysen. Auf die Frage, warum hier so intensiv ermittelt wurde, aber nicht in der Arenabar antwortet der Polizist: „Am 19. Februar war ich mit meinen Kollegen Bier trinken. Und das ist gut so.“

Auch die Opferhilfe des Landes Hessens versagt. Der Landesopferbeauftragte erschien erst vier Monate nach dem Tod und im Gespräch war ihm dann „alles zu politisch“. Obwohl Hauptverdiener von Familien ermordet wurden, traumatisierte Angehörige nicht mehr arbeiten können, werden Entschädigungszahlungen verweigert: Bürokratische Schikane, durch die nicht mal teure Fachanwälte blicken. Vermutlich kann es sich das Land nicht leisten, alle Opfer von rassistischer Gewalt und polizeilichem Versagen zu entschädigen.

Diese Absätze beschreiben leider nur einen Bruchteil der Eindrücke, denen sich Q+ Studierende gewahr wurden. Was bleibt ist die Gewissheit, dass es rechten Terror schon immer in der Bundesrepublik Deutschland gab und auch nach Hanau geben wird. Dass Angestellte in Sicherheitsbehörden selbst gar nicht wissen, dass sie rechtsextrem sind, Sätze wie „Deutschland den Deutschen!“ als normal empfinden, nicht als rechts oder ungewöhnlich. Dass die, die es wissen, geschützt und gedeckt werden. Das Versagen wird belohnt, das Verbrechen vertuscht. Die Seilschaften von gewaltbereiten Rechtsextremen bis in die Sicherheitsbehörden und in die Politik, etwa in die hessische CDU sind lang. In einem Planspiel haben wir versucht, Lösungsansätze und Reformvorschläge zu entwickeln, doch nur radikale Veränderungen würden wohl Verbesserungen bringen. Veränderungen, die Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bräuchten, und ein anderes Land zur Folge hätten.

Der Bericht wurde von teilnehmenden Studierenden verfasst. An dem zweitägigen Q+Workshop im November 2021 nahmen 14 Studierende aus 11 verschiedenen Disziplinen teil. Die Veranstaltung wurde gemäß Corona-Richtlinien an der JGU Mainz durchgeführt.

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