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Geschlechterstudien an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Montags | 18:15 - 19:45 Uhr | Raum P 3 im Philosophicum

Die Ringvorlesung bietet einen Einblick in die wissenschaftlichen Arbeiten der Lehrenden unterschiedlicher Disziplinen an der JGU, die sich mit der Kategorie Gender auseinandersetzen. Ziel ist es, verschiedene Perspektiven der Mainzer Geschlechterstudien zu beleuchten und zur Diskussion zu stellen. Wir möchten eine öffentliche Debatte anregen, Lehrende wie Studierende vernetzen und die Sichtbarkeit des Themas erhöhen. Dabei soll das Spektrum des Genderdiskurses aus intersektionaler Perspektive und seine Relevanz für Forschung und Lehre an der JGU betont werden.

Alle Interessierten sind herzlich willkommen.

Achtung! Bitte erscheinen Sie spätestens um 18:00 Uhr (s.t.) vor dem Raum, damit die Vorträge pünktlich starten können. Es gilt die 3G-Regel. Alle Gäste werden gebeten, sich über die JGU-App einzuloggen, bevor sie den Raum betreten. Um Wartezeiten zu vermeiden, laden Sie bitte die App im Vorfeld herunter.

Organisiert von Stefan Bast, Prof. Dr. Linda Hentschel, Dr. des. Friederike Nastold und Julia Reichenpfader in Kooperation mit dem Autonomen AlleFrauen*-Referat des AStAs, dem Autonomen Queer-Referat des AStAs, Studienprogramm Q+ und TOYTOYTOY.

25.10.2021 | Livia Prüll | Medizin | Diversität im Gesundheitswesen - Transidentität als Beispiel

Der Vortrag befasst sich mit der medizinischen Versorgung transidenter/ transsexueller Menschen in Deutschland. Zunächst wir dazu eine Definition von Transidentität geliefert und zur Lebenswelt transidenter Menschen Stellung genommen. Aufbauend darauf wird dann die spezielle medizinische Hilfestellung thematisiert, die trans*Menschen brauchen, um ihr Leben zu meistern. Ferner wird nachfolgend die allgemeine Gesundheitsversorgung dieser Personengruppe besprochen. Schließlich werden die gelieferten Informationen zu den Erfordernissen einer Diversität im Gesundheitswesen in Beziehung gesetzt.

Dr. Livia Prüll ist Privatdozentin am Institut für Funktionelle und Klinische Anatomie an der Universitätsmedizin Mainz. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Medizingeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Ein Arbeitsgebiet ist die Medizingeschichte und Medizinethik von Transidentität/Transsexualität.

08.11.2021 | Yamara Wessling | Ethnologie und Afrikastudien | Die Werte einer Frau? Die Aushandlung von Klasse und Geschlecht in Ruanda

Weltweit ist das ostafrikanische Ruanda inzwischen bekannt für seine breitgefächerte Geschlechterpolitik. Die Veränderungen betreffen alle Lebensbereiche, jedoch nicht alle Frauen in gleicher Weise. Dieser Vortrag analysiert sozioökonomische Unterschiede zwischen Frauen und fragt, wie Mitglieder der gebildeten Mittelklasse materielle und immaterielle Werte relevant machen,  um Geschlechterrollen- und verhältnisse neu zu definieren.

Yamara Wessling hat Ethnologie an der Universität Mainz studiert und gelehrt. Für ihr Promotionsprojekt lebte sie 16 Monate in Ruanda und erforschte die Lebenswelten von Frauen der gebildeten Mittelklasse. Derzeit arbeitet sie an der Universität Ulm in einem Projekt über ungewollte Schwangerschaften bei Frauen mit psychischen Belastungen. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Geschlecht, Sexualität, soziale Ungleichheit und Biographie.

15.11.2021 | Julia König | Erziehungswissenschaften | „Eulalia, was machst du da?” Geschlechterentwürfe in kolonialrassistischen Karikaturen um 1900

Das goldene Zeitalter der Bildpostkarte um 1900 korrelierte mit der Hochphase der kolonialen Expansion des Deutschen Kaiserreichs. Vermehrt wurden nach dem Ausbruch des großen Kolonialkriegs gegen Herero und Nama in »Deutsch-Südwestafrika« (1904–1908) sogenannte ›Witzpostkarten‹ gedruckt und verschickt, auf denen rassistische Karikaturen von Avancen und sexuellen Beziehungen zwischen Kolonisierten und Kolonialherren dargestellt sind. Diese entfalten ihre Wirkung in ihrer Ambivalenz: Einerseits strukturieren die erotisierenden Stereotypisierungen den kolonialen Raum, und andererseits wird der sexuelle Kontakt zum ultimativen Bedrohungsszenario der Kolonialherrschaft aufgebaut. Letzteres spiegelt sich immer wieder im rassistischen Klischee des gefürchteten Interesses weißer Frauen an Schwarzen Männern – eine Projektion, auf die diese Karikaturen in einer gewissen Weise ›antworten‹. Diese Darstellungen möchte ich in meiner Vorlesung zum Ausgangspunkt nehmen für eine sozialpsychologische Analyse rassifizierter Geschlechterentwürfe in Karikaturen um 1900, nicht zuletzt ausgehend von der Frage, wer eigentlich über diese ›Witzpostkarten‹ lachen konnte und mit welchen massenpsychologischen Dynamiken sich dieses Lachen verband.

Julia König ist Juniorprofessorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Promotion an der Goethe-Universität Frankfurt mit einer Untersuchung historischer Konstellationen der sexuellen im Verhältnis zur generationalen Ordnung; Gastaufenthalte 2010-2011 am Historical Department der New School for Social Research (NYC, USA) und 2017-2018 am CUNY Graduate Center (NYC, USA). Forschungsschwerpunkte: Kritische Theorie, Geschichte der Sexualität, Psychoanalyse, feministische, postkoloniale und kindheitstheoretische Fragen sowie qualitative Method(ologi)e. Derzeit arbeitet sie an einem Projekt über Zivilisation und Verletzlichkeit.

22.11.2021 | Elia Scaramuzza | Politikwissenschaften | Entweder - oder!? Nicht-dichotome Perspektiven auf Geschlecht in der politischen Bildung

Auf den ersten Blick erscheinen Diskurse um und Forschung über Geschlecht von zahlreichen gegensätzlichen Spannungen geprägt, die bis zum Ausschluss zugespitzt sein können: entweder Männer oder Frauen, entweder Natur oder Kultur, entweder Identität oder Differenz u.v.m. Binäre Perspektiven auf Geschlecht sind möglich, bergen aber das Problem, dass sie als Letztbestimmung zahlreiche Ausschlüsse produzieren und theoretisch wie praktisch unterbestimmt bleiben. Der Vortrag führt daher in eine andere, nicht-dichotome Herangehensweise an Geschlecht in der politischen Bildung ein: Diese zielt darauf ab, Denk-, Handlungs- und Urteilsmöglichkeiten der Beteiligten zu erweitern, indem implizite normative Setzungen sichtbar gemacht werden und zwischen (vermeintlichen und tatsächlichen) Gegensätzen vermittelt werden kann. Zurückgegriffen wird hierfür auf die gesellschaftstheoretischen Perspektiven auf Geschlecht nach Gudrun-Axeli Knapp (2011): Gleichheit, Differenz, Dekonstruktion und Intersektionalität sowie die Kritische Theorie Theodor W. Adornos.

Elia Scaramuzza ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promovend am Arbeitsbereich Didaktik der politischen Bildung am Institut für Politikwissenschaft der JGU Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Kritischen Theorie politischer Bildung sowie in nicht-dichotomen Perspektiven auf Geschlecht, die er im Konzept einer ‚geschlechterreflexiven politischen Bildung‘ zusammenzieht.

29.11.2021 | Stephan Goertz | Katholische Theologie | Adam und Eva, Christus und Maria. Über Katholische Geschlechterordnungen

Wie wohl jede Religion entwirft auch das Christentum Bilder und Theologien von der Ordnung der Geschlechter. So bilden sich wirkmächtige Vorstellungen von einem vermeintlich gottgewollten Verhältnis von Mann und Frau. Aus dem katholischen Denken über das Wesen der Frau sind zum Beispiel Verweise auf die Gottesmutter Maria nicht wegzudenken. Aber etwa auch die biblischen Schöpfungsberichte über Adam und Eva und ihre Interpretationen haben immer wieder auf Konzepte über das Verhältnis der Geschlechter Einfluss genommen. Bis heute spielen solche überlieferten Konstrukte eine Rolle, wenn es um die Frage geht, wie sich das katholische Christentum gegenüber den modernen Umwälzungen im Geschlechterverhältnis verhalten soll.

Stephan Goertz ist seit April 2020 Dekan des Fachbereichs 01 an der JGU und Professor für Moraltheologie. Er beschäftigt sich unter anderem mit katholischer Sexualmoral und Diversität.

06.12.2021 | Damaris Nübling | Linguistik | Genderlinguistik jenseits von Sternchen und großem I

Die öffentliche Diskussion über das sog. Gendern ist auf nur ein Thema der Genderlinguistik fixiert und verdeckt die Tatsache, dass diese linguistische Disziplin thematisch weitaus diverser ist. Deshalb wer-den in diesem Vortrag weniger bekannte Bereiche der Genderlinguistik vorgestellt, z.B. die genderisierende Namengebung an Menschen (und Tiere!), Namenentscheidungen bei der Heirat, Reihenfolgeprinzipien bei Personenbezeichnungen vom Typ „Mann und Frau“ gegenüber „Mama und Papa“ sowie die Gestaltung der Stimme.

Damaris Nübling ist seit 2000 Professorin für Historische Sprachwissenschaft an der JGU Mainz und beschäftigt sich in ihrer Forschung u.a. mit Eigennamen und Genderlinguistik.

13.12.2021 | Dagmar von Hoff | Literaturwissenschaft | Repräsentation – Performanz – Identität. Genderkonstruktionen im Wandel 

Anhand der Termini Repräsentation, Performanz und Identität lässt sich ein paradigmatischer Wechsel innerhalb der Debatten um den Begriff Gender aufzeigen. Frauenforschung und feministische Wissenschaft, die sich seit den späten 1960er Jahren im Kontext der neuen Frauenbewegung bildeten, fragten sich in Bezug auf Simone de Beauvoirs These vom anderen Geschlecht, inwiefern Frauen im gesellschaftlichen Feld unterrepräsentiert sind, welche Ausschlussmechanismen auszumachen sind und wie Frauen ihren spezifischen Platz in der Gesellschaft einfordern könnten. Anfang der 1990er Jahre fand schließlich ein Wechsel des Forschungsparadigmas innerhalb der feministischen Theorie statt. Mit Judith Butlers 1991 ins Deutsche übersetzter Studie Das Unbehagen der Geschlechter und ihrer These von der Performativität des Geschlechts stand schließlich der binäre Geschlechtercode zur Disposition. Dabei versteht Butler die Einteilung in Mann und Frau als ein Produkt von Diskursen und nicht als Repräsentanz einer diesen Diskursen vorgängigen Realität. Insofern tritt in den Fokus der Zitation konventioneller Geschlechterinszenierungen vor allem subversive bisher marginalisierte Performanzen, wie sie durch Travestie, drag oder lesbische und schwule Aneignung zum Ausdruck kommen. Mit der schließlich als postkolonial ausgewiesenen feministischen Theorie- und Genderforschung seit den 2000er Jahren formuliert sich ein transnationaler Feminismus mit einer Kritik an rassistischen sowie eurozentristischen Diskursen, die im Rahmen einer Wissensbildung des Westens konstituiert worden sind. Sowohl Geschlecht, Hautfarbe, aber auch kulturelle Identität erscheinen jetzt als von Machtapparaten geprägtes gesellschaftliches Produkt. Festgestellt werden neue Identitätsformen, die von Durchlässigkeit und Hybridität geprägt sind.

Dagmar von Hoff ist Universitätsprofessorin für Neue Deutsche Literaturgeschichte mit dem Schwerpunkt Germanistische Medienwissenschaft und Ästhetik der textorientierten Medien an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

10.01.2022 | Tobias Boll | Soziologie| „fragile“, „toxic“, „critical“ – Männlichkeiten unter kritischer Beobachtung

ACHTUNG Dieser Vortrag entfällt leider.

Männlichkeit galt und gilt oft als das „unmarkierte“ Geschlecht, das seine Überlegenheit gegenüber dem Weiblichen als dem „anderen Geschlecht“ (Simone de Beauvoir) gerade daraus zieht, dass es kulturell unhinterfragt bleibt. Nicht erst im Zuge der Diskussion um eine „Krise der Männlichkeit“ seit/in den 1980er Jahren gerät dieses Bild ins Wanken: Männlichkeit wird zusehends kritisch unter die Lupe genommen und etwa als „toxisch“ oder „fragil“ problematisiert. Der Vortrag gibt einen Überblick über diese Diskussion und versucht, soziologische Lesarten solcher Diagnosen zu entwickeln. Dazu werden sie vor dem Hintergrund nicht nur sich wandelnder Geschlechterverhältnisse, sondern eines grundlegenderen sich wandelnden gesellschaftlichen Differenzbewusstseins betrachtet.

Dr. Tobias Boll ist Soziologe an der JGU Mainz, wo er derzeit das Lehrgebiet Gender Studies vertritt. Er ist Mitglied des Sonderforschungsbereichs 1482 Humandifferenzierung, in dessen Rahmen er aktuell ein Forschungsprojekt zu Konstruktionen von Sexualität und Behinderung leitet. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Gender und Disability Studies sowie der Soziologie des Körpers und der Sexualität. Zuletzt erschien von ihm „Autopornografie. Eine Autoethnografie mediatisierter Körper“ (de Gruyter, 2019).

17.01.2022 | Marc Siegel | Filmwissenschaft | Pausing Before Movement Politics: Ulrike Ottinger's Queer Aesthetics of Stasis

ACHTUNG Dieser Vortrag findet digital statt.

How can experimental films provide blueprints for political subjectivity? Can stasis and posing offer productive strategies of resistance not just to the forces of homophobia and sexism but also to the pressures of political activism and organization? In this talk I will address these questions by looking back to Ulrike Ottinger’s „comedy about the women’s movement“, the 1977 film Madame X. Eine absolute Herrscherin and Werner Schroeter’s operatic opus, the 1971 film Tod der Maria Malibran.

Marc Siegel ist Professor für Filmwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte liegen vor allem im Bereich der Queer Studies und des Experimentalfilms. Sein Buch A Gossip of Images erscheint bei Duke University Press. Er ist Mitglied der Akademie der Künste der Welt in Köln und einer der Mitbegründer*innen des Berliner Kunstkollektivs CHEAP.

24.01.2022 | Mita Banerjee | Amerikanistik | Die Phänomenologie des Privilegs: Gender und Whiteness in Raoul Pecks Film "I am not your negro"

ACHTUNG Dieser Vortrag findet digital statt.

Raoul Pecks Film "I am not your negro" (2016) untersucht am Beispiel des schwarzen amerikanischen Schriftstellers James Baldwin, wie unterschiedliche Formen struktureller Benachteiligung ineinandergreifen können. Als schwarzer schwuler Schriftsteller beschreibt Baldwin, aus der Perspektive des "Anderen", was es bedeutet, weiß, männlich und privilegiert zu sein. Dieser Vortrag untersucht das Spannungsfeld zwischen "Belonging" und "Exclusion" durch die Brille der Phänomenologie. Wie fühlt es sich an, bestimmte Orte und Räume (die Stadt, die Universität, die U-Bahn) zu bewohnen oder aber, sich fremd in ihnen zu fühlen?

Mita Banerjee ist Professorin für Amerikanistik am Obama Institute for Transnational American Studies der Universität Mainz. In ihrer Forschung befasst sie sich besonders mit ethnischen amerikanischen Literaturen und Kulturen, mit Fragen von Whiteness und sozialer Privilegierung (Color Me White: Naturalism/Naturalizaton in American Literature, 2013) und mit den Medical Humanities (Biologische Geisteswissenschaften, 2020). Sie ist Co-Sprecherin des DFG-Graduiertenkollegs „Life Sciences, Life Writing: Experiences of Human Life between Biomedical Explanation and Lived Experience.”

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