AlterNativity – Gebären als Leerstelle in Kunst und Wissenschaft

Ein Bericht aus der Perspektive einer Dozierenden von Dr. Cecilia Colloseus

Jeder Mensch wird geboren. Zu dieser Tatsache steht das Interesse an den Gegebenheiten, die die Umstände des Gebärens bestimmen, in einem bemerkenswerten Missverhältnis. Anders als andere sogenannte anthropologische Grundkonstanten wird der körperliche Akt des in-die-Welt-Kommens und vor allem der des auf-die-Welt-Bringens sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der künstlerischen Auseinandersetzung weitgehend ausgeblendet. Erst in den letzten Jahrzehnten und im Zuge feministischer Denkansätze ist der Themenkomplex wieder näher in den Fokus gerückt.

Im Rahmen meiner Forschung und meiner künstlerischen Arbeit hatte ich bereits zahlreiche Gelegenheiten, mich mit dem umrissenen Themenkomplex auseinanderzusetzen. Das achtstündige Blockseminar „AlterNativity“, das ich am 7.5.2021 mit 16 Teilnehmenden des Studienprogramms Q+ durchführen durfte, war jedoch auch für mich eine völlig neue Erfahrung und ein echtes Highlight.

Aufgrund des Pandemiegeschehens fand das Seminar online statt, was jedoch der Präsenz der Teilnehmenden keinen Abbruch tat. Alle hatten sich gewissenhaft vorbereitet und waren engagiert bei der Sache. Gemeinsam befassten wir uns zunächst damit, ob und wie das Thema Geburt in den jeweiligen Studienfächern der Teilnehmenden vorkommt. Zu diesem Zweck hatten alle eine kurze Präsentation vorbereitet. Mithilfe des Kollaborationstools Miro entstand im Zuge dieser Kurzpräsentationen eine großflächige Visualisierung der vielfältigen Betrachtungsweisen des Themas Geburt in den verschiedenen Fachrichtungen. Der Ausgangspunkt des Seminars, also die „Leerstelle Geburt“, wurde auf diese Weise eindrücklich in Frage gestellt.

Der zweite Teil des Seminars setzte an dieser Stelle an. In Kleingruppenarbeit wurden tiefer gehende Analysen von journalistischen und literarischen Texten, Selbstzeugnisse sowie Werken der bildenden und darstellenden Kunst vorgenommen. Hier wurde deutlich, dass die Geburt als biographisches Ereignis aus Perspektive der Gebärenden (und der Geborenen) tatsächlich eine Leerstelle darstellt. Gegenbeispiele, in denen die Gebärende als handelndes Subjekt in Erscheinung tritt, wurden zusammengetragen und ebenfalls auf dem Miro-Board visualisiert.

Obwohl ich mich bereits seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema beschäftige, habe ich durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Rahmen des Seminars sehr viele neue Erkenntnisse gewinnen können. Ich war begeistert davon, mit welchem Engagement und gleichzeitiger Leichtigkeit die Teilnehmenden einen derart unübersichtlichen Themenkomplex aufgeschlüsselt und zugänglich gemacht haben. Eine solche Dynamik erlebt man in der Lehre nicht oft. Mein Fazit der Veranstaltung ist: Das Studienprogramm Q+ eignet sich auch hervorragend für Lehrende, die mehr wissen wollen und ich kann die Zusammenarbeit nur wärmstens empfehlen.

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