Studentenforum zu politischen Kulturen Europas in der Villa Vigoni

Bericht von Felix Flegel (Wirtschaftswissenschaften), Ana Elisa Gomez Laris (Amerikanistik), Lisa Korbach (Archäologie), Leonard Palm (Publizistik, Kunstgeschichte), Saskia Plura (Physik) und Catharina Sachse (Ethnologie, Öffentliches Recht)

Vom 16.09. bis 19.09. fand in Italien am Comer See in den Räumlichkeiten der Villa Vigoni e.V. das deutsch-italienische Studentenforum „Politische Kulturen als Teil des kulturellen Erbes in Europa – interne Divergenzen und globale Perspektiven“ statt. Sechs Studierende des Q+ Programms wurden nach einem internen Bewerbungsverfahren ausgewählt, um mit weiteren 20, von der Villa Vigoni eingeladenen Studierenden vor Ort ihre interdisziplinären Perspektiven in die Diskussion einzubringen. Die dreitägige Veranstaltung, die seit 7 Jahren an der Villa Vigoni stattfindet, fördert explizit Diskussionen zwischen deutschen und italienischen Studierenden zu den wichtigsten aktuellen Themen in Deutschland und Italien, aber auch auf europäischer und internationaler Ebene.

In Vorbereitung auf das Studentenforum traf sich die Q+Gruppe zu einem Einführungsseminar. Zu Beginn stellten die Studierenden sich und ihre Perspektiven auf das Thema des Forums vor. Daraus entstanden bereits erste Diskussionen, die einen Ausblick auf die zu erwartenden Debatten gaben. Doch das Q+Vortreffen sollte auch dazu dienen, zunächst eine solidere Wissensbasis zu schaffen und alle auf den gleichen inhaltlichen Stand zu bringen. Till Hilmar, der als Doktorand der Soziologie an der Yale University unter anderem zum Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel und zur Kreation eines gesamteuropäischen Geschichtsnarrativs forscht, gab den Teilnehmer*innen daher einen Überblick über die Organisationsstrukturen und die Rechtsnatur der EU und führte in die Problematiken, Debatten und Entscheidungen ein, mit denen die Europäische Union derzeit konfrontiert ist. Als im dritten Teil des Seminars dann der konkrete Ablauf des Forums und die organisatorischen Belange besprochen wurden, wuchs die Vorfreude. An einen so geschichtsträchtigen und in jeder Hinsicht bemerkenswerten Ort zu reisen und in dem stilvollen Ambiente der Villa Teil einer so bedeutenden Diskussion zu sein, war eine großartige Chance für uns Studierenden.

Die Themen, die während des Forums auf Deutsch, Italienisch und Englisch besprochen wurden, waren vielfältig und interessant. Ebenso die verschiedenen Perspektiven. Die geladenen Referent*innen legten aus der Sicht ihrer jeweiligen Disziplin Überlegungen zu den politischen Kulturen in der EU dar. Dabei wurden abstrakte Konzepte wie „The Culture of Consensus“ mit einem Vertreter des Center for European Union Research, Budapest, genauso wie praktische Überlegungen etwa zum Umgang mit „Fake News“ mit einer Politologin der HU Berlin diskutiert. Zwei Vertreter der EU vom European External Action Service, Brussels und vom Ufficio del Parlamento Europeodi Milano sprachen mit uns über die Fragen der Außenpolitik der EU und über die Herausforderungen des inneren Zusammenhalts. Auch den Blick von außen wagten wir und bekamen dank der spannenden Vorträge zweier Referentinnen vom Mercator Institute for China Studies, Berlin, vom Institute for International Political Studies, Milano, einen guten Einblick in die Sicht Chinas und Russlands auf die europäischen Werte und das Handeln der Union.

In den Diskussionen, die auf die Vorträge folgten, bewiesen viele Studierenden Mut und Verstand: Angesichts teilweise kritischer Beiträge errötete der ranghohe EU-Bürokrat und geschickt widerlegten einige Studierenden seine Verteidigung. Seinen taktischen Ablenkungen steuerten sie inhaltlich fundiert entgegen, diplomatischen Vernebelungen durchleuchteten sie, den politischen Kollisionen wichen sie nicht aus. Stattdessen hielten sie ihre Spur, die EU sei eine gute Sache, doch Verbesserungen, die sie benannten, notwendig.

So kongruierten auf dem Studentenforum Inhalt und Form miteinander: In den vielen Diskussionen über politische Kulturen ist unter den Diskutierenden selbst eine vorbildliche politische Kultur entstanden. Zuerst informierten wir uns aufmerksam, mit Neugierde und nicht ohne Skepsis durch die tiefgreifenden wie weitreichenden Vorträgen renommierter Referent*innen. In der anschließenden Diskussion brachten sich alle Studierenden gleichberechtigt ein. Mit großem Raum und viel Zeit bekamen wir die Chance, zu den Themen für eigene Positionen einzustehen, doch auch uns hinter andere zu stellen, wenn deren Argumente überzeugt hatten. Nie ging es dabei um einen selbst und das Rechtbehalten, sondern stets um die Sache und darum, das Rechte zu finden.

Nach solcher Art der Information und Diskussion wäre nun als dritter Schritt die Aktion richtig und wichtig, das Erlebte weiter aus- und vorzuleben. Zum Ende des Forums verabredeten wir Studierenden uns dazu, den Weg gemeinsam fortzuschreiten. Denn auf der Suche nach Problemen der europäischen Demokratie hatten wir die Lösung in uns selbst gefunden.

Die eben erwähnten Diskussionen und Verabredungen wurden uns ermöglicht, weil die Villa Vigoni 1983 von Ignazio Vigoni Medici di Marignano an die Bundesrepublik Deutschland vererbt wurde. Herr Vigoni tat dies unter der Bedingung, dass Deutschland die Villa und ihr gesamtes Grundstück zum Zentrum deutsch-italienischer Kultur bestimmt. Eine Verbindung zu Deutschland gab es in der Familie Vigoni schon vor der Vererbung: Der gebürtiger Frankfurter Heinrich Mylius wanderte in der 1790er Jahren im Alter von 20 nach Milan aus. Zur Hochzeit schenkte er seinem einzigen Sohn, Julius, die Villa Vigoni. Nach dem frühen Tode Julius’, heiratete seiner Gattin, Luigia Vitali, Ignazio Vigoni. Aus dieser Ehe entstand ein Sohn, der wiederum auch einen Sohn hatte, nämlich den Erblasser der heutigen Villa Vigoni.

Der Wille, den Austausch zwischen deutscher und italienischer Kultur zu unterstützen, wurde von Generation zu Generation weitergegeben – von dem Ehepaar Mylius, das mit Goethe und Schiller bekannt war und Stipendien für Studenten aus Frankfurt und Mailand förderte, bis zu Ignazio Vigoni, der in seinem Testament erklärte: „Mit diesem Vermächtnis beabsichtige ich, der Tradition, die auf Heinrich Mylius und Goethe zurückgeht, Ehre zu erweisen und ihr neues Leben zu geben.“

Neben immer wiederkehrenden Manifestationen der Erinnerung an Julius strahlen die Villen und das weite Gartengrundstück eine Atmosphäre des wohlwollenden Austausches aus. Flaniert man nach einem vorzüglichen 3-Gänge-Menü der hauseigenen Küche durch den Villengarten, entdeckt man an jeder Ecke Sitzgelegenheiten, die sich selbst förmlich anzubieten scheinen, um den europäischen Dialog der hier Tagenden im Privaten weiterzuführen. Auch in vielen Zimmern und auf den Veranden der beiden Villen schafft der Verein unmerklich Orte des Treffpunktes der Kulturen – Orte, an denen der europäische Gedanke weiter ausgearbeitet und konkretisiert werden kann.

Bei all den interessanten und vielfältigen Diskursen auf unserem Forum konnten wir schließlich einen Konsens festhalten: Ja, wir wollen und brauchen die Europäische Union. Natürlich ist Verbesserungspotenzial vorhanden, und die EU sollte auch weiterhin stetig verbessert und weiterentwickelt werden. Wie genau die EU in Zukunft aussehen wird, kann niemand sagen. Jeder hat andere Vorstellungen, die er aber nur einbringen kann, wenn das Grundkonstrukt der EU weiterhin bestehen bleibt. Gerade im Hinblick auf die derzeitigen politischen Konflikte in den europäischen Staaten ist diese Grundidee einer europäischen Gemeinschaft allerdings gefährdet.

Deshalb liegt es jetzt bei jedem von uns, daran festzuhalten und am 23. bis 26. Mai 2019 ein Zeichen für Europa zu setzen bei der Wahl des europäischen Parlaments. Vor diesem Hintergrund wurde auch eine tolle Aktion ins Leben gerufen, bei welcher man sich aktiv für die EU ausspricht: https://www.diesmalwaehleich.eu/

Ein ausführlicher Bericht wurde von allen Teilnehmer*innen erstellt und ist (bald) auf der Homepage der Villa Vigoni zu finden.

Veröffentlicht am