Altersarmut in Deutschland

Bericht von Fanny Wenk (Bachelorstudierende Politikwissenschaft)

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Im Rahmen des zweitägigen Q+Workshops „Altersarmut in Deutschland“ kamen am 25. sowie am 28.11.2022 15 Studierende aus 11 verschiedenen Disziplinen zusammen. Am ersten Workshoptag beschäftigten sich die Teilnehmenden mit den theoretischen Grundlagen zum Thema Altersarmut. Die wissenschaftliche Einführung lieferte Peter Haan, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der FU Berlin und Leiter der Abteilung Staat am Deutschen Institut für Wirtschaft. In einem mehrstündigen Vortrag zu „Ursachen und Entwicklung von Altersarmut in Deutschland“ zeigte er eindrücklich auf, inwiefern sich das Phänomen der Altersarmut in den Zahlen widerspiegelt: Gemäß eines von der EU gesetzten Standards gilt in Deutschland eine Person als relativ arm, wenn ihr Haushaltseinkommen unter oder bei 60% des mittleren gewichteten Jahreseinkommens der Bevölkerung liegt. (23.000€). Fast 15% der deutschen Gesamtbevölkerung sind von Altersarmut betroffen. Laut einer Studie des sozio-ökonomischen Panels (2019) beziehen rund 60% der Berechtigten keine Grundsicherung - dies bedeutet, dass es in unserer Gesellschaft auch eine erhebliche verdeckte Altersarmut existiert (Link: DIW zur Grundsicherung) Gemeinsam mit Prof. Haan diskutierten die Teilnehmenden später mögliche politische präventive als auch kurative Handlungsmaßnahmen. In einem Punkt waren sich alle einig: Es sollte viel mehr Aufklärung über den gesetzlichen Anspruch auf Grundsicherung betrieben sowie schon jüngeren Personen mehr Beratung zu Themen wie gesetzlicher und privater Altersvorsorge angeboten werden.

Trotz der Perspektiven und Verbesserungshoffnungen fiel die Prognose des Referenten, Altersarmut in Deutschland substantiell abzubauen, schlussendlich tendenziell düster aus. Diesen Input mussten die Teilnehmenden erst einmal verdauen, bevor sie sich dem weiteren Programm zuwenden konnten.
Der zweite Block der Veranstaltung widmete sich dem Thema „Leben auf der Straße“. Ein Leben ohne festen Wohnsitz führen in Deutschland 37.400 Menschen. Dazu kommen laut einer Studie aus dem Bundessozialministerium rund 49.000 Menschen in verdeckter Wohnungslosigkeit, die etwa dauerhaft bei Bekannten auf dem Sofa schlafen.

Gerhard Trabert, Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie an der Hochschule Rhein-Main und Arzt für Allgemein- und Notfallmedizin, referierte zu den Wechselwirkungen zwischen Armut und Gesundheit. Er stellte den Teilnehmenden das „Mainzer Modell der gesundheitlichen Versorgung von wohnungslosen Menschen“ vor, ein Konzept, bei welchem ein Arztmobil bedürftige Menschen dezentral medizinisch versorgt. Prof. Trabert schilderte sehr eindrücklich seine Erfahrungen im Umgang mit betroffenen Personen und machte deutlich, weshalb er für das Motto „Housing First“ eintritt – Das Wohnen habe stets zuerst zu stehen, Reintegrationsmaßnahmen hätten dann erst im zweiten Schritt zu folgen.
Viele Q+ Studierende zeigten sich schockiert über die Situation benachteiligter, armer und wohnungsloser Menschen in Deutschland, schließlich ist die Bundesrepublik Deutschland das viertreichste Land der Erde. Es wurde zudem kritisch angemerkt, dass die bewundernswerte Arbeit privater Vereine wie „Die Tafel“ oder „Armut und Gesundheit in Deutschland“, dessen Gründer und 1. Vorsitzender Prof. Trabert ist, darüber hinweg täuschen könnte, dass der Sozialstaat seiner Verantwortung gegenüber seinen benachteiligten Bürger:innen nicht oder zu wenig nachkommt.

Dem in Mainz ansässigen Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“ ‘(https://www.armut-gesundheit.de/), statteten die Q+Studentierenden am zweiten Workshoptag einen Besuch ab. Dieser Verein bietet eine sehr niedrigschwellige medizinische und soziale Anlaufstelle „ohne Grenzen“ für benachteiligte, arme und kranke Menschen. Rund 40, zumeist ehrenamtliche Ärzt:innen diverser medizinischer Ausrichtungen, Pfleger:innen und Sozialarbeitende stehen spendenfinanziert zur Verfügung, um direkt, schnell und kompetent zu helfen. Rund 3.000 Hilfe Suchende im Jahr werden dort kostenlos versorgt.
Sozialarbeiterin Nele Wilk, Leiterin der Clearingstelle Krankenversicherung RLP, klärte zum Thema „Menschen ohne Krankenversicherungsschutz“ auf. Es machte fassungslos, dass im reichen Deutschland mehrere hunderttausend Menschen ohne Krankenversicherung leben. Genaue Zahlen liegen hierbei nicht vor, denn es gibt eine sehr hohe Dunkelziffer. Vor allem von Altersarmut Betroffene können sich oft keine Krankenkasse mehr leisten und gehen bei Erkrankung aus Geldnot oder auch aus Scham nicht mehr zum Arzt.

Die Seminarteilnehmer:innen erhielten dann noch die Möglichkeit, sich mit zwei von Altersarmut betroffenen Personen auszutauschen. Die sehr offenen und sehr persönlichen Gespräche mit einem ehemaligen Chemiker und einem ehemaligen Kleinunternehmer machten klar, dass Altersarmut jede:n von uns treffen kann – ein Schicksalsschlag oder eine Erkrankung reichen manchmal aus, ein Leben aus seiner Bahn zu werfen. Aus diesem bereichernden Gespräch konnten wir alle etwas mitnehmen.

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